Jetzt 4 Wochen kostenfrei Tag des Herrn lesen!
Bistum Dresden-Meißen

Der Osten hat seine Exotik verloren

Eurocamp Dresden

Schmiedeberg - In einem Raum des Schmiedeberger Winfriedhauses bastelt Andrei Todoca mit neun anderen Jungen und Mädchen an einem Modell des Dresdner Postplatzes. Tags zuvor hat der 19-jährige, der aus dem rumänischen Siebenbürgen stammt, gemeinsam mit den anderen Teilnehmern des Eurocamps Dresden besucht. Rund 60 Jugendliche sind es, die aus der Bundesrepublik und elf zumeist osteuropäischen Ländern gekommen sind. Unter dem Motto "Lean on me - Lehn dich an mich an" haben sie sich für fast zwei Wochen - vom 23. Juli bis zum 5. August, zu Spiel, Sport, Tanz, gemeinsamem Gebet und Workshops, unter anderem zu geschichtlichen Themen, getroffen. Andrei, der zum ersten Mal Deutschland besucht, ist von dieser Art der Begegnung begeistert: "Weder aus Büchern noch aus dem Fernsehen kann man ein Land so gut kennen lernen, als wenn man mit den Menschen spricht. Da bekommt das Land plötzlich eine Seele."

Susanne Fritz aus Kesselsdorf bei Dresden hält gerade die Projektarbeit für eine gute Idee: "Da ist man gezwungen, sich mit den anderen zu verständigen. Das ist gut fürs kennen lernen." Sieben Nationen sind am Tisch vertreten. Die Jungen und Mädchen aus Litauen, Tschechien, der Slowakei, Moldawien, Rumänien, Deutschland und der Ukraine haben sich auf Englisch als Arbeitssprache geeinigt

Diana Gherasimciuc aus Moldawien hat in den ersten Tagen des internationalen Jugendtreffens von den anderen schon einiges über nationale Charakterzüge erfahren. Auch neue Wörter, fügt die Moldawierin Ljuda Zaplitnaya hinzu. Jetzt könne sie beispielsweise Bitte und Danke auf litauisch sagen. Am eindrucksvollsten aber sei für sie die erste Begegnung mit einem jungen Mann aus Uganda gewesen. Das ist Dominic Lagu, Student der Sozialwissenschaft in Kampala. Er ist der Teilnehmer, der die weiteste Strecke zurückgelegt hat, um den für ihn fremden europäischen Lebensstil und die Kultur kennenzulernen. Am deutlichsten sei ihm aufgefallen, dass die Menschen hier fast pausenlos beschäftigt seien, es immer eilig hätten und deshalb kaum Gelegenheit, ausführlich miteinander zu reden. "In meinem Land nehmen sich die Leute dazu viel mehr Zeit." Doch trotz der beträchtlichen kulturellen Unterschiede sind ihm Gemeinsamkeiten nicht entgangen. Schon beim Volleyballspielen habe er die gleichen Interessen bei den anderen Jugendlichen entdeckt. Ebenso bei der Musik: "Wir hören die selben Hits."

Eine Möglichkeit zum Austausch zu bieten - darin sieht Veit Scapan, Jugendseelsorger des Bistums Dresden-Meißen, das Hauptanliegen des Treffens. Auch Vorurteile, nicht verarbeitete Verletzungen aus der Geschichte könnten hier abgebaut werden. Im vergangenen Jahr, so erinnert er sich, seien polnische und litauische Jugendliche aneinandergeraten. "Diesen Konflikt konnten wir im Gespräch und im Spiel lösen."

Ursprünglich sollte das Treffen auch Brücken zwischen Ost und West bauen helfen. Doch in diesem Jahr sind keine Jugendlichen aus einem westeuropäischen Land gekommen. Nur einige aus dem Westen Deutschlands. Einer von ihnen ist Bogdan Kaczmarek, katholischer Stadtjugendseelsorger in Düsseldorf. Mittlerweile sei es schwer, Jugendliche aus dem Westen zu einer Fahrt nach dem Osten zu bewegen, meint er. "Vielleicht hat der Osten für viele Westeuropäer mittlerweile das Exotische verloren." Für Jutta Döbbener aus Düsseldorf spiegelt dies nur wider, wie schwierig die Annäherung zwischen Ost und West in der Praxis ist: "Das braucht seine Zeit."

Tomas Gärtner

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 32 des 49. Jahrgangs (im Jahr 1999).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 15.08.1999

Aktuelle Empfehlung

Der TAG DES HERRN als E-Paper - Jetzt entdecken!

Aktuelle Buchtipps