Gerhard Kuzniak hat als Lehrer in der DDR schwierige Zeiten durchlebt
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"Ich liebe mein Dorf", sagt Gerhard Kuzniak. Seit knapp 50 Jahren lebt der heute 69-jährige in Wolfmannshausen. Der gebürtige Rostocker wurde nach seiner Ausbildung in Eisenach 1950 in das Dorf versetzt, um als Lehrer die Wolfmannshäuser Kinder zu unterrichten. Seiner künftigen Ehefrau zuliebe blieb er schließlich in dem südthüringischen Ort und hat seinen Schritt, wenngleich es in den fünf Lebensjahrzehnten auch manches Schwere zu bestehen galt, nie bereut, wie er sagt. Der Neulehrer Kuzniak wurde von den Wolfmannshausenern "ganz freundlich aufgenommen". Die Schule war gleich neben der katholischen St.-Ägidius-Kirche. Noch heute wohnt er mit seiner Frau Lukrezia gegenüber dem Schulgebäude. Der junge Lehrer unterrichtete in der Unterstufe und später in den Fächern Deutsch, Erdkunde und Astronomie. Und dies mit Leidenschaft. "Ich habe vom lieben Gott die Gabe bekommen, mit Kindern gut umgehen zu können", sagt Kuzniak. So wundert es nicht, dss er bald bei Kindern und Eltern beliebt war und zum angesehenen "Herrn Lehrer" des Dorfes wurde, eines Dorfes, in dem die überwiegende Mehrheit der Einwohner katholische Christen waren
Als Lehrer zu DDR-Zeiten sollte er seinen Schülern sozia-listisches Gedankengut nahe bringen. Ein Auftrag, der für den katholischen Christen Kuzniak mit den Jahren seines Schul-Dienstes zunehmend zu einem schweren Konflikt wurde. "Im Klassenzimmer hing ein Kreuz an der Wand", erzählt Kuzniak. "Als ich eines Tages die Anweisung bekam, es abzuhängen, habe ich den Zuständigen vom Schulamt gesagt: Das Schulgebäude gehört der Gemeinde, und ich werde das Kreuz nicht abnehmen. Das wurde mir übel genommen. Doch das Kreuz hängt noch immer in der Schule."
1959 wurde die Schule zu einer Zentralschule, das heißt: Schüler aus umliegenden Orten kamen in die Wolfmannshausener Schule. Viele von ihnen waren Nichtchristen. Bisher hatte Kuzniak mit den Mädchen und Jungen zu Beginn und am Ende jedes Unterrichtstages gebetet. "Dies war nun nicht mehr möglich."
Als katholischer Christ engagierte sich der Lehrer in seiner Pfarrgemeinde, zum Beispiel übernahm er regelmäßig den Lektorendienst. Auch dies wurde ihm von den Schulfunktionäre übel genommen. Kuzniak geriet aus diesen und zahlreichen ähnlichen Gründen immer mehr unter politischen Druck. Ein Ergebnis war schließlich, dass sich Gerhard Kuzniak gezwungen sah, seine drei Mädchen zur Jugendweihe zu schicken, damit er nicht seine Arbeit verlor. Keine der Töchter konnte jedoch studieren. Eines der Kinder reiste später in die Bundesrepublik aus
Trotz der zurückliegenden schweren Jahre sind Kuzniak und seine Frau heute dankbar. "Ich würde es noch einmal so machen", sagt Kuzniak. "Manches konnten wir auch verhindern oder abschwächen." Der Bürgermeister, er und der Pfarrer hatten oft mit den staatlichen und SED-Funktionären zu verhandeln. Als 1960 alle in die LPG eintreten sollten, weigerten sich die Wolfmannshausener. So kam es, dass Wolfmannshausen schließlich eines der letzten Dörfer im Bezirk Suhl war, dessen Bewohner in eine LPG eintraten. "In den späteren Jahren haben sich die Leute dann jedoch arrangiert und die über Jahre nicht wohlhabende Bevölkerung konnte sich wirtschaftlich erholen", sagt der 69-jährige
Gerhard Kuzniak ist ein guter Kenner der Heimatgeschichte seines Ortes und der Region. 1488, so erzählt der frühere Lehrer, sei Wolfmannshausen zur Pfarrei erhoben worden und in der Reformationszeit als das "standhafte" Dorf dem katholischen Glauben treu geblieben. In der Nazizeit, so Kuzniak weiter, sei der Thüringer Gauleiter Fritz Sauckel persönlich in Wolfmannshausen erschienen und habe angeordnet, die größten Bauern auf eine Flur fünf Kilometer von Wolfmannshausen entfernt umzusetzen und Erbhöfe zu errichten. Die übrigen Bewohner sollten in den Osten umgesiedelt werden, um so das "schwarze" katholische Dorf auszulöschen. Zu alledem sei es allerdings nicht gekommen. Und auch durch die DDR-Zeit sei die überwiegende Mehrheit der Wolfmannshausener ihrem katholischen Glauben treu geblieben
Seit 25 Jahren erarbeitet der Deutsch- und Erdkundelehrer Jahr für Jahr einen Chronikband über Wolfmannshausen und hat zum Beispiel detaillierte Studien über die früheren Bauernhöfe seines Dorfes zusammengestellt. Nach der Wende schrieb er regelmäßig zu christlichen und heimatgeschichtlichen Themen im "Meininger Tageblatt"
Ehefrau Lukrezia (66) kümmert sich seit 20 Jahren regelmäßig um den Kirchenschmuck und engagiert sich für notleidende Menschen in Tansania. Die Eheleute sorgen sich bis heute nach Kräften um das Wohl ihrer Gemeinde. 1998 wurden sie für ihren Dienst vom Erfurter Bischof Joachim Wanke mit der Elisabeth-Medaille geehrt
Einen Einschnitt für die Wolfmannshausener Katholiken hat vor einem Jahr der Weggang ihres letzten Pfarrers Alfred Viering bedeutet. "Auch wenn sich Pfarrer Hunold aus Meiningen die größte Mühe um uns gibt, bedauern doch viele in Wolfmannshausen, dass wir keinen eigenen Seelsorger mehr haben", sagt Frau Kuzniak. Von den 530 Einwohnern gehören fast alle zur Gemeinde, 200 kommen zum Gottesdienst
Lukrezia und Gerhard Kuzniak sind froh darüber, in einem so schönen Ort zu leben. Kirche und Pfarrgrundstück sind saniert, das Dorf gepflegt und die Wege Richtung Westen und Süden, die in Sichtweite von Kuzniaks Wohnung mehr als 35 Jahre durch Mauer und Stacheldraht versperrt waren, offen. "Ein Zeichen der Hoffnung", wie Gerhard Kuzniak sagt
Eckhard Pohl
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 15.08.1999