Kontemplativer Ort und Asyl für Obdachlose
Zisterzienserkloster Osek
Aus dem Fenster seiner Kanzlei kann Bernhard Thebes den Blick weit schweifen lassen: Vorn der ausgedehnte, verwilderte Klostergarten, dann ein paar Häuser von Osek und weit entfernt die Abraumbagger der nordböhmischen Kohlengruben. Vor acht Jahren ist Abt Bernhard in das mehr als 800 Jahre alte Zisterzienserkloster Osek bei Teplitz am Fuße des Erzgebirges gekommen. Etwa 17 Hektar umfasst die Anlage. "Das ist fast halb so groß wie der Vatikan", sagt der 71-jährige, der aus Langwaden bei Köln stammt. "Da haben wir zu tun. Wenn wir das schön ausputzen und geistliches Leben reinbringen, wird das hier eine Perle."
Dieses geistliche Leben wiederherzustellen - darin sieht der Abt denn auch seine eigentliche Aufgabe. Ein kontemplatives Reformkloster für Männer wolle er hier schaffen - "so wie es in den ersten Jahrhunderten bei den Zisterziensern war." Seine drei Kandidaten - zwei Tschechen und einen Deutschen - hat er deshalb zur Vorbereitung in ein französisches Trappisten-Kloster geschickt, weil es dort "am klarsten kontemplativ zugeht". Um Weihnachten herum sollen sie nach Osek zurückkommen. Bis dahin muss die Klausur für sie fertig sein, die gerade ausgebaut wird
Erloschen war die klösterliche Tradition in Osek nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Die tschechischen Behörden vertrieben die deutschen Mönche und enteigneten die Abtei. 1950 machten sie daraus ein Konzentrierungs-Kloster, ein Lager für Mönche. Drei Jahre später kamen Ordensschwes-tern aus zwangsaufgelösten Gemeinschaften. 230 von ihnen liegen auf dem Friedhof begraben
Der öffentlich zugängliche Teil des Klosters ist inzwischen zu einer Touris-tenattraktion geworden. Die Nordfassade der barocken Kirche ist frisch verputzt. Ihr Inneres allerdings bleibt den Besuchern für einige Zeit verschlossen. Das Chorgestühl wird mit Kohlendioxid von Schädlingen befreit. Etwa eine Million Mark koste das, sagt Thebes. Rund 800 000 Mark davon habe die Bundesregierung übernommen, knapp 200 000 Mark die Umweltstiftung, dazu kämen EU-Mittel
Dass jedoch noch große Teile des ausgedehnten Klostergebäudes marode sind, ist nicht zu übersehen. Weitere Gästezimmer sollen darin ausgebaut werden. "Die Pläne sind schon da, aber das Geld noch nicht", sagt Thebes. Die Arbeiten allein an der Klosteranlage, so schätzt er, werden 850 Millionen Kronen, umgerechnet etwa 42,5 Millionen Mark kosten. Hinzu kommen weitere Projekte in der Umgebung. Im Nachbarort Langwiese (Dlouha Louka) etwa, auf dem 800 Meter hohen Berg, lässt der Abt eine Kirche mit einer alten Gastwirtschaft sanieren. "Das soll ein Kinder- und Jugendhaus für Osek werden."
Ohne die Hilfe der etwa 1200 Mitglieder des Freundeskreises, von denen die meisten in Deutschland leben, hätte Thebes die Arbeiten nicht einmal beginnen können. Und dieses Wohlwollen wiederum ist für ihn nicht ohne höheren Beistand denkbar: "Der Finanzminister in Osek ist der heilige Josef. Der sorgt dafür, dass Hände da sind und Herzen, die sich öffnen um zu spenden."
Doch noch ist das Kloster weit davon entfernt, ein Ort der Ruhe und Kontemplation zu sein. Die großen sozialen Probleme in der Region drängen sich jetzt erst einmal in den Vordergrund. Das Obdachlosenheim in Teplitz sei kürzlich aufgelöst worden, erzählt der Abt und betrachtet die aus Tansania stammende Holzfigur des Guten Hirten, die auf seinem Schreibtisch steht. "Niemand wusste, wohin mit diesen 30 Männern von der Straße. Da haben wir mit der Sozialbehörde einen Vertrag über ein Jahr geschlossen." So haben die Männer im Klostergebäude vorerst eine Bleibe
Ebenso wie eine Gruppe von Flüchtlingen aus Rußland, der Ukraine und Bulgarien, die schon länger hier wohnen. Betreut werden sie seit fast zwei Jahren von dem tschechischen Sozialarbeiter Frantisek Vojak. In der ganzen Tschechischen Republik sei er wohl der einzige Sozialarbeiter, der bei einem Abt angestellt ist, sagt er. Die Verdienste von Bernhard Thebes um die Sozialarbeit seien groß. Dennoch beobachte er manchmal etwas Skepsis unter den Einheimischen dem deutschen Abt gegenüber, besonders unter den alten. Die jungen Leute seien da schon anders. Aber etliche würden erst zu Freunden des Klosters, wenn sie beim Abt gegen Bezahlung arbeiten könnten. Trifft sich einmal jährlich der Freundeskreis im Kloster, spürt Vojak besonders deutlich, dass die Kluft zwischen beiden Völkern eher eine soziale als eine nationale ist: "Der Freundeskreis aus Deutschland, das sind reiche Leute. Und die aus Tschechien, das sind arme Leute. Die kommen vor allem zum Essen und Trinken her." Nein, Spannungen gebe es nicht - "aber Unterschiede"
Wie jeden Mittag treffen sich die etwa 60 Bewohner des Klosters im Speisesaal und beten vor dem Essen gemeinsam das Vaterunser, auf Tschechisch. Unter ihnen ist auch Thomas Gonnermann aus Groß-Gerau bei Darmstadt, der hier seinen sozialen Friedensdienst absolviert. Der 20-jährige ist zum ersten Mal in einem osteuropäischen Land. Bei seiner Arbeit mit den Obdachlosen sei ihm vor allem daran gelegen, "den Leuten zu zeigen, dass sie nicht zweite Klasse sind. Und dass sie keine Angst vor Deutschen haben müssen." Natürlich sei die Arbeit manchmal schwierig, unter anderem, weil die Menschen hier eine andere Arbeitsmoral hätten. "Da kommt man hoch motiviert hier her, und dann geht es erst mal in den Keller." Andererseits spürt er, dass er von den Einheimischen anerkannt wird, schon weil er Tschechisch lernt
In einem Teil des Klostergartens errichten junge Männer Indianer-Tipis. Sie gehören zu einer der 23 Familien, die für zwei Wochen aus Prag hierher kommen. Angemeldet bei Abt Thebes ist auch eine Gruppe mit behinderten Kindern aus Brünn. Und im Juni haben sich hier etwa 150 Sinti und Roma aus Tschechien und der Slowakei getroffen. Bernhard Thebes ist inzwischen bei ihnen bekannt. Die Eltern kommen zu ihm und lassen ihre Kinder taufen
Hinter dem Südflügel des Klostergebäudes schleppen sieben Mädchen und ein junger Mann Bretter. Eine Gruppe der Kolping-Jugend aus dem Westen Deutschlands, die zu einem Arbeitseinsatz hier sind. Sie errichten einen Zaun für die künftige Klausur. Von einem abgeschlossenen, kontemplativen Kloster jedoch halten sie nicht sehr viel. "Wenn es nach mir ginge, würde ich das alles ein bisschen öffentlicher machen", meint Isabell Brunow aus Renningen. "Ich denke schon, dass das mehr bringen würde, als wenn die hier nur beten", pflichtet ihr Jessica Wesselmann aus Recke bei. Irina Kramer aus Bad Salzuflen wünscht sich ebenfalls mehr Jugendgruppen hier. Die Jugendlichen sollten die Gottesdienste mit den Tschechen im Kloster kennenlernen, die so ganz anders seien als die deutschen Messen: "Sehr viel lockerer, sogar mit Lachen. Das macht Spaß." Hier fänden genau die Begegnungen zwischen Deutschen und Tschechen statt, die für die Verständigung so wichtig seien. "Aber leider noch in sehr kleinem Rahmen."
Abt Bernhard Thebes weiß, wie schwierig das Vertrauen ist und dass es allmählich wachsen muss. "Das tschechisch-deutsche Verhältnis ist noch lange nicht so, wie es sein sollte. Auch der Europa-Gedanke ist bei den Tschechen, die ich kenne, schwach ausgeprägt. Das kommt aber langsam, po malo, wie die Tschechen sagen. So wie sie arbeiten", fügt er lachend hinzu, "das geht ja auch po malo."
Tomas Gärtner
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 22.08.1999