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Der Urheber der Gretchenfrage

Johann Wolfgang von Goethe

Auch wer wenig von Goethe gelesen hat, wird den Ausdruck "Gretchenfrage" kennen. Damit hat es folgende Bewandtnis: in Goethes Hauptwerk, dem Drama "Faust", fragt das Mädchen Margarete den Gelehrten Faust, der es umgarnt und umwirbt: "Glaubst du an Gott?" Die Antwort fällt umständlich aus; und wir können hier nur Ausschnitte daraus abdrucken:

"Mein Liebchen, wer darf sagen:
Ich glaub an Gott! ...
Wer darf ihn nennen
Und wer bekennen:
Ich glaub ihn!
Wer empfinden
Und sich unterwinden
Zu sagen: ich glaub ihn nicht!
Der Allumfasser,
Der Allerhalter,
Faßt und erhält er nicht
Dich, mich, sich selbst? ...
Schau ich nicht ins Auge dir,
Und drängt nicht alles
Nach Haupt und Herzen dir
Und webt in ewigem Geheimnis
Unsichtbar sichtbar neben dir?
Erfüll davon dein Herz, so groß es ist,
Und wenn du ganz in dem Gefühle selig bist,
Nenn es dann, wie du willst:
Nenns Glück! Herz! Liebe! Gott!..

Gretchen antwortet zwar, "ungefähr sagt das der Pfarrer auch"; aber sie kommt doch zu der Einsicht: "Du hast kein Christentum." Nun ist Faust nicht Goethe. Aber so ähnlich hat sich der Dichter über seinen eigenen Glauben auch geäußert. Er lehnte den Offenbarungsglauben ebenso ab wie das Dogma von der Erbsünde. 1782 bezeichnete er sich als "dezidierten Nichtchristen". Er ist oft als Pantheist bezeichnet worden, das heißt: als jemand, der Gott und die Welt für ein und dasselbe hält

Das trifft aber auf Goethe nicht zu. Er war davon überzeugt, dass es eine höchste göttliche Macht gebe, der die Welt Ursprung und Erhaltung verdanke. Überall in der Schöpfung, vor allem in der Natur und in der menschlichen Liebe, sah er Hinweise auf diese göttliche Macht, auf den "Urgrund" allen Seins. "Alles Irdische" war ihm ein "Gleichnis" für das Wirken des Göttlichen

Goethe konnte sich eine entgöttlichte Welt nicht vorstellen. Vom rationalistischen Materialismus der französischen Aufklärer grenzte er sich ab. Ebenso wandte er sich gegen die Aufteilung in einen göttlichen und einen ungöttlichen Bereich der Welt. Nach seiner Vorstellung war alles von Gott durchdrungen

Freilich war das nicht der durch die Kirche verkündigte Gott. Sondern es war eine göttliche Macht, die sich nach seiner Meinung überall erfahren ließ. Christus verehrte er nicht als Gottes Sohn und Erlöser, sondern als Verkörperung des sittlichen Prinzips. In der sittlichen Vervollkommnung der Menschheit sah er das Ziel und die Aufgabe der Religionen, nicht nur der christlichen

Jürgen Israel

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 33 des 49. Jahrgangs (im Jahr 1999).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 22.08.1999

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