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Bistum Dresden-Meißen

Strom und Wärme aus erneuerbaren Energien

Ostritz

Fahren Sie nicht so dicht unter den Schornstein, sonst können Sie ihr Auto gleich zum Waschen fahren!", rät Mathias Piwko. Der Grund: Auf einem alten Fabrikschornstein einer Textilfabrik hat sich eine Storchenfamilie eingenistet, und die Störche machen nun mal rundherum etwas Dreck. Zwar wurde das gesamte Gebäude der Fabrik abgerissen, aber das Domizil der Störche blieb unberührt. Somit ist Ostritz um eine kleine Attraktion reicher und die Störche sind zugleich Symbol für die ökologischen Veränderungen der kleinen Stadt an der Neiße

Heute befindet sich neben dem Schornstein das Biomasse-Heizkraftwerk der Stadt Ostritz-St. Marienthal. Im Heizkraftwerk türmen sich Berge von Holzhackschnitzeln und Holzabfällen von Waldarbeiten. Holzgeruch steigt in die Nase, wenn man die große Halle, in der das Brennmaterial gelagert wird, betritt. Mathias Piwko erklärt, dass diese Biomasse so verbrannt wird, dass jährlich 15 Millionen Kilowattstunden Wärme erzeugt werden können. Beim Rundgang fällt sofort der riesige Heizkessel auf. Der Schriftzug "Technik für Mensch und Umwelt" klebt nicht nur als Aufkleber einfach am Kessel, sondern deutet auch in die Richtung, die Ostritz-St. Marienthal als Energie-ökologische Modellstadt eingeschlagen hat. Weiter geht es vorbei an einem Labyrinth von Rohren, Kanälen mit Ventilen und Druckmessern zum Pflanzenöl-Motor mit einem Stromerzeuger, der mit Rapsöl betrieben wird. "Das Prinzip ist dasselbe wie bei einem Dieselmotor im Auto", sagt Mathias Piwko, der im Internationalen Begegnungszentrum (IBZ) von Ostritz-St.Marienthal für Öffentlichkeitsarbeit und Marketing zuständig ist

Das IBZ ist eine öffentliche Stiftung bürgerlichen Rechts und wurde 1992 gegründet. Es befindet sich auf dem Gelände des über 760 Jahre alten Zisterzienserinnenklos-ters von St. Marienthal. Die Mitarbeiter des IBZ-Projektes wirken im Rahmen der Energie-ökologischen Modellstadt, die insbesondere von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt gefördert wird, entscheidend an den Veränderungen in Ostritz-St. Marienthal mit. Die Modellstadt umfasst bis zum jetzigen Zeitpunkt 12 Projekte, weitere werden folgen, wie zum Beispiel eine ökologisch wirtschaftende Klostergärtnerei. Mathias Piwko erklärt die Hintergründe des gesamten Vorhabens: Die Energieversorgung der Stadt Ostritz soll vollständig aus erneuerbaren Energien wie Wind, Sonne, Wasser und Biomasse erfolgen, denn aufgrund jahrzehntelanger enormer Umweltbelastungen durch Großkraftwerke und den Braunkohleabbau in diesem Gebiet kam es nicht nur zu starken gesundheitlichen Belastungen der Bevölkerung, sondern auch zu natur- und landschaftszerstörenden Folgeproblemen

Im Dreiländereck Deutschland, Polen und der Tschechischen Republik soll in Ostritz-St. Marienthal zudem ein Beitrag zur Völkerverständigung geleistet werden, wobei schon jetzt zehn Prozent der Besucher des IBZ aus Polen oder der Tschechischen Republik kommen. Sie nutzen die zahlreichen Veranstaltungsangebote mit, seien es Tagungen oder "Study and Work Camps" für Jugendliche

Wichtige Akzente in der Bildungsarbeit setzen die Marienthaler Zisterzienserinnen. "Ein Schwerpunkt liegt dabei in der Umweltproblematik", sagt Mathias Piwko. Er betont, dass das Kloster ein wichtiger Wegbereiter für die Energie-ökologische Modellstadt war und jetzt natürlich ein Teil dessen ist. Piwko fügt hinzu, dass die Stadt erheblich vom Kloster profitiert habe. Viele Vorhaben wären ohne die Zisterzienserinnen gar nicht möglich gewesen. Ein Beispiel: Die Schwestern überlegten, wohin mit ihrem Restholz aus dem Klosterwald. So kam von der Stadt die Idee eines Biomasse-Heizkraftwerkes. "Daraufhin haben sich die Stadt Ostritz und das Kloster zusammengeschlossen, um diese Idee zu verwirklichen", fährt Mathias Piwko fort. Zufrieden erzählt er, dass im Kloster mehr als einhundert Arbeitsplätze geschaffen und gesichert werden konnten. Zur Unterbringung der verschiedenen Gäste im Internationalen Begegnungszentrum stehen heute 91 Betten und 25 Jugendunterkünfte zur Verfügung. Das IBZ steht jedoch nicht nur für Tagungsbesucher, sondern auch für Touristen offen

Piwko verweist auch auf die Akzeptanz, die das IBZ und seine Projekte heute erfährt. "Die Menschen waren offen für das Projekt einer Energie-ökologischen Modellstadt. Natürlich traten Fragen und Unsicherheiten auf. Schließlich mussten in der gesamten Stadt erhebliche Umbauten vorgenommen werden. Aber das Projekt hat in der breiten Masse der Bevölkerung Zustimmung gefunden", meint der IBZ-Mitarbeiter

Von einem Seminarraum im Gästehaus St.Hedwig hat der Besucher die direkte Verbindung in den "Garten der Bibelpflanzen", der den Betrachter mit einem Meer aus grün leuchtenden Pflanzen empfängt. Die sorgsam angelegten Beete und Flächen sind in Themenbereiche unterteilt, wie zum Beispiel Heil- und Arzneipflanzen oder Kräuter- und Gewürzpflanzen. "Die Idee stammt von zwei jungen Frauen, die ihr freiwilliges ökologisches Jahr in Marienthal absolviert haben. Den Besuchern wird dadurch auch ein Zugang zur Bibel ermöglicht", so Piwko. Von den 100 Pflanzen, die in der Bibel erwähnt werden, wurden bereits 40 angepflanzt. Viele Pflanzungen sind aber auch vom Klima abhängig. Auf dem Weg zum benachbarten Schausägewerk berichtet Mathias Piwko von einem Naturlehrpfad, der am Neißeufer angelegt und im nächsten Jahr fertig gestellt werden soll. Der Schritt durch die große Holztür des Sägewerkes scheint den Besucher um viele Jahre zurückzuversetzen - das Schausägewerk ist bereits 150 Jahre alt. Trotzdem funktionieren noch alle Maschinen

Das bis 1990 noch in Betrieb befindliche Sägewerk wird seit zwei Jahren nur noch zu touristischen Zwecken genutzt. Alle 14 Tage wird hier samstags ein Schausägen durch die Brettschneiderfamilie Ebermann aus Ostritz durchgeführt. Eine der ganz neuen "Attraktionen" ist die kürzlich eröffnete "Energie-Werk-Stad(t)t", eine erlebnisorientierte Ausstellung zum Thema "Energie". Mittels Kraftmaschinen, verschiedenen Modellen, Ausstellungstafeln oder interaktiven Medien, wird Energie fassbar. Es werden nicht nur Fragen geklärt wie "Woher kommt sie und wozu braucht man sie?", sondern auch die wahrscheinlich wichtigste, nämlich "Wie spart man Energie". Am Eingang der Ausstellung steht "Mariechen", ein Glühwürmchen, das vor allem den kleineren Besuchern den Zugang zum Begriff "Energie" ermöglichen soll. Mit einem Fußtritt auf ein nebenstehendes Pedal bringt man den Wurm sogar zum Sprechen: "In euch steckt auch Energie! Wollt ihr es mal ausprobieren?"

Auf dem Weg zur Baustelle des geplanten Wasserkraftwerks folgt Mathias Piwko ein Besucher: "Halt! Können Sie mich mitnehmen? Das ist für mich einmalig!" Und tatsächlich ist es einmalig, als Piwko die Funktionsweise des Werkes erklärt, durch welches früher die Maschinen des Sägewerkes angetrieben wurden. Aber der Lärm durch die Wassermassen ist fast ohrenbetäubend

Anschließend geht es zur Pflanzenkläranlage, die für den Ortsteil Bergfrieden mit seinen 70 Einwohnern zur Abwasserreinigung ideal ist. Auf den ersten Blick sieht das Gelände wie ein Stück Wiese mit einem Teich aus. Aber wie Mathias Piwko erzählt, verbirgt sich dahinter ein ausgereiftes Abwasserklärsys-tem, das nur eine kleine Fläche einnimmt, sich naturnah in die Landschaft einfügt und auch im Winter funktioniert. Zwar erschwerten die schwierigen Bodenverhältnisse den Bau der Pflanzenkläranlage, jedoch sind solche Modelle für ländliche Gebiete äußerst rentabel

Die Energie-ökologische Modellstadt Ostritz-St. Marienthal, die ein registriertes Projekt der EXPO 2000 ist und sich im Rahmen dieser Weltausstellung in Hannover präsentieren wird, kann durch vielerlei Projekte Ansätze für mögliche Lösungswege aufzeigen, wie Natur und Energie nachhaltig genutzt werden können. Nachhaltige Entwicklung heisst, dass der Mensch die Natur mit ihren Ressourcen für sich nutzt, ohne sie auszubeuten oder in das ökologische Gleichgewicht einzugreifen. Eines der Hauptanliegen bei dem Modell ist auch den Jugendlichen als nachfolgende Generation zu zeigen: "So sollt ihr mit der Natur umgehen, um zu überleben!"

Ostritz-St. Marienthal war im vergangenen Jahr "TAT-Ort", das heißt die Stadt wurde für ihre Ideen und verwirklichten Projekte im Sinne der nachhaltigen Entwicklung von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt ausgezeichnet. "Durch umfassende Darstellungen solcher TAT-Orte sollen Anreize zur Nachahmung solcher Projekte geschaffen werden, die zum einen viel Kreativität, aber zum anderen auch ein hohes Maß an Engagement erfordern", schreibt Fritz Brickwedde, der Generalsekretär der Deutschen Bundesstiftung Umwelt im Buch "TAT-Orte 1998. Gemeinden im ökologischen Wettbewerb."

Und so wird es möglicherweise im Rahmen dieser Energie-ökologischen Modellstadt noch mehr kleine Naturwunder geben, die in Ostritz-St. Marienthal dann greifbar nahe werden wie die Storchenfamilie auf dem Fabrikschornstein

Anett Blaschka

Kontaktadresse: Internationales Begegnungszentrum, St. Marienthal 10 in 02899 Ostritz

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 34 des 49. Jahrgangs (im Jahr 1999).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 29.08.1999

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