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Bistum Görlitz

Religionsstunde für Touristen

Neuzelle

Neuzelle (jh) - "Manchmal schließe ich die Kirche auf, und draußen stehen 300 bis 400 Leute", erzählt Ansgar Florian, Pfarrer an der Neuzeller Stiftskirche. Die größte Barockkirche Nord- und Ostdeutschlands macht viele Touristen neugierig, einen Blick hineinzuwerfen - zumindest einen kurzen, oft aber auch einen längeren. Nicht das ganze Jahr über kommen so viele Besucher wie zwischen Ostern und Erntedank. Trotzdem gehören Kirchenführungen für den Pfarrer und sechs andere Mitarbeiter der Gemeinde zum Alltag - das ganze Jahr über und nicht nur am Wochenende

Auch für heute haben sich wieder zwei Gruppen angesagt. Die erste, etwa 40 Männer und Frauen, wurde vor kurzem von einem Cottbuser Reisebus in Neuzelle "ausgeschüttet". Nun sitzen sie in den Bankreihen im hinteren Kirchenschiff. Ihre Blicke schweifen an den seitlichen Deckengemälden entlang, die Pfarrer Florian gerade erklärt. "Die Gemälde zeigen Szenen aus dem Alten Testament. Sie sollen Hoffnung wecken. Aber nicht nur, weil es schön aussieht, sondern weil sie Gottes Heilsgeschichte vom Beginn der Schöpfung an darstellen. Sie zeigen, dass er es gut meint mit den Menschen." Manche der Touristen verfolgen mit ihren Blicken die Skulpturen, Bilder und Altäre, die der Pfarrer erklärt. Andere scheinen weniger interessiert. Sie sitzen einfach in den Bänken und genießen die Ruhepause

Viele, so Florians Erfahrung, "haben nicht mehr die christlichen Grundkenntnisse. Gerade hier in unseren Breiten." Deshalb stellt er sich mit der Kirchenführung darauf ein: Er erklärt nicht nur, dass diese Kirche - wie fast alle - nach Osten ausgerichtet ist. Auch den Grund dafür verrät er: Durch das runde Glasfenster ganz oben über dem Altar dringe morgens die aufgehende Sonne. Ihr Leuchten erinnere symbolisch an die aufgehende Sonne des Ostermorgens. "Was Sie hier sehen, können Sie nur verstehen, wenn Sie es als Zeugnisse der Glaubensfreude und der Frömmigkeit der Mönche sehen, die diese Kirche erbaut haben."

Die Kirchenführung ist also nicht nur eine Gelegenheit, von der Geschichte des Gotteshauses und seiner kunsthistorischen Bedeutung zu sprechen. Sie ist fast wie eine Religionsstunde für Touristen. Pfarrer Florian sieht es als gute Chance, den Besuchern Inhalte zu vermitteln, vom Glauben zu erzählen. "Was interessiert die Leute schon, dass die Deckengemälde 1658 fertiggeworden sind. Die Zahl haben sie längst schon wieder vergessen, wenn sie weiter vorne vor dem Altarraum stehen."

Manchmal trägt die Katechese Früchte, etwa bei der 50-Jährigen, die nur wenige Kilometer entfernt wohnt und noch nie vorher eine Kirche von innen gesehen hatte. Ihr Fazit nach einer Führung: "Ich habe gar nicht gewusst, dass das alles Sinn hat, was in der Kirche dargestellt ist."

Nicht nur die Neuzeller wissen von der missionarischen Möglichkeit, die sie mit ihren Kirchen haben. "Kirchenräume predigen", ist sich Hans Zinnow, Organisator der ökumenischen Tagung "Kirche im Tourismus" sicher. Dieses Seminar für Kirchenführer findet jährlich in einer touristisch besonders interessanten Kirche statt. Vom 7. bis zum 10. September ist Neuzelle in diesem Jahr Gastgeber. Wie zu jeder Tagung steht auch hier ein historischer Baustil auf dem Programm. In Neuzelle - wie könnte es anders sein - der Barock

Der Barock ist es auch, der viele Touristen und Ausflügler in die Marienkirche lockt. Viele sind überwältigt von einer solchen Barockkirche mitten in Brandenburg. Während der Führungen erfahren sie: Die hiesige Zisterzienserabtei gehörte zur böhmischen Ordensprovinz. Die Priester-Mönche studierten also in Prag. Den Prager Barock und viele Ideen für ihre Kirche "brachten sie von dort mit"

Die Reaktionen der Besucher sind sehr unterschiedlich: Eine Frau schrieb ins Gästebuch, Reichtum und Aussattung dieser Kirche seien fast überwältigend. Ein Tourist beschwerte sich einmal, die Kirche habe sein Auge beleidigt. Doch oft "ergeben sich auch schöne inhaltliche Gespräche im Nachgang", erzählt Pfarrer Florian. Mancher kommt eigentlich nur wegen der Kunst oder stößt zufällig auf die Kirche, bleibt dann aber wegen etwas ganz anderem in der Kirchenbank sitzen."

Führungen durch die Stiftskirche werden nach Vereinbarung durchgeführt. Interessierte können sich melden im Katholischen Pfarramt, Stiftsplatz 5, 15898 Neuzelle, Telefon und Fax: (03 36 52) 282

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 35 des 49. Jahrgangs (im Jahr 1999).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 05.09.1999

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