Jetzt 4 Wochen kostenfrei Tag des Herrn lesen!

Das Gesicht des Jungen sehe ich bis heute

Caritas-Mitarbeiterin aus Peitz hilft Spätaussliedlern

Caritas-Büro in der Landesstelle Peitz (kh) -Im Bücherregal steht der Formalitäten-Wegweiser gleich neben dem Handbuch zur Bibel, darüber liegt ein deutsch-russisches Wörterbuch. Am Fenster hängt ein Mobile mit Papierfischen. Die Caritas-Mitarbeiterin Tamara Gerber hat es voriges Jahr zusammen mit Aussiedlerkindern gebastelt.

Als die in Kasachstan geborene Deutsche vor sieben Jahren in die Bundesrepublik übersiedelte, wurde sie in der Aufnahmestelle Peitz untergebracht. Heute arbeitet sie dort in der Beratungsstelle der Caritas. "Unser Büro ist für jeden offen -unabhängig von der Konfession. Wer Hilfe braucht, kann kommen", fasst die evangelische Christin das Angebot zusammen.
Unterstützung benötigen die Spätaussiedler zum Beispiel beim Ausfüllen der zahlreichen Formulare und Anträge. Wer die deutschen Angaben darauf nicht versteht, kann sich bei der Caritas eine russische Übersetzung der Vordrucke ausleihen. Notfalls dürfen die Aussiedler einfach mit Geburtsurkunde, Reisepass, Aufnahmebescheid und Registrierschein zu Tamara Gerber kommen. Sie füllt dann die Formblätter aus. Erhalten Spätaussiedler einen Brief von einem Amt, den sie nicht lesen können, übersetzt ihn Tamara Gerber ins Russische. Umgekehrt überträgt sie auf Russisch formulierte Lebensläufe ins Deutsche.
Auch Telefongespräche übernimmt sie für die neu Angekommenen. Wenn sie schon Angehörige in Deutschland haben, aber nicht wissen, wo sie sich aufhalten, setzt sie sich mit dem Suchdienst in Hamburg in Verbindung. Leben noch Verwandte im Heimatland, die ebenfalls aussiedeln möchten, erkundigt sich Tamara Gerber beim Bundesverwaltungsamt, wie weit deren Anträge schon bearbeitet sind.

Die ausgebildete Pädagogin erleichtert den Spätaussiedlern nicht nur die Kommunikation mit den Behörden. Als Übersetzerin ist sie auch gefragt, wenn Tuberkulose- oder Krebspatienten ins Krankenhaus oder zum Arzt müssen. An einen Arztbesuch erinnert sie sich besonders gern: Sie begleitete damals einen Jungen aus Kasachstan, dessen Hörgerät kaputt gegangen war. Anschließend ging sie mit ihm in ein Geschäft, um ein neues auszuleihen. Als der Junge die Musik, die ihm die Verkäuferin vorspielte, hören konnte, freute er sich sehr. "Das Gesicht des Jungen sehe ich bis heute", sagt Tamara Gerber. "Immer wenn er mich danach auf dem Gang oder im Hof gesehen hat, ist er mir entgegengelaufen, hat mich umarmt und gedrückt."

Wenn Spätaussiedler seelischen Probleme haben oder Heimweh verspüren, ist Tamara Gerber ebenfalls für sie da. Manche schauen auch einfach nur vorbei, um sich mit ihr auf Russisch zu unterhalten. Dass die ehemalige Lehrerin diese Sprache sehr gut beherrscht, spricht sich meist schnell unter den Neuankömmlingen herum.

Besonders kümmert sich die Caritas in Peitz um katholische Spätaussiedler. Tamara Gerber schätzt, dass etwa jeder Vierte, der in die Aufnahmestelle kommt, zumindest formell zur katholischen Kirche gehört. Von der Caritas bekommen diese Familien zur Begrüßung Bücher über die Taufe und die Sonntagsmesse, ein Heftchen mit den wichtigsten Gebeten, eine Kinderbibel und kleine Bücher mit biblischen Geschichten. Außerdem erhalten sie einen Stadtplan von Peitz, auf dem die katholische und die evangelische Kirche rot umrandet sind.

Im evangelischen Gotteshaus findet jeden Freitag ein Begegnungsnachmittag statt. Er beginnt mit einem ökumenischen Gottesdienst, bei dem Tamara Gerber übersetzt: "Das ist für viele ein Erlebnis, weil sie in ihrer Heimat keinen Gottesdienst erlebt haben", erläutert sie. Wegen der Kirchenverfolgung in der Sowjetunion hatten die Russlanddeutschen oft einfach nicht die Möglichkeit dazu.

Nicht nur bei diesen Begegnungsnachmittagen arbeiten in Peitz mehrere Wohlfahrtsverbände zusammen. Den Faschingsball, die Weihnachtsfeier und das Sommerfest für die Spätaussiedler bereiten Arbeiterwohlfahrt, Caritas und Diakonie gemeinsam mit der Evangelischen Flüchtlingsseelsorge und der Brandenburgischen Sportjugend vor.

Ein spezielles Angebot der Caritas sind hingegen die Wochenendseminare, die sie zweimal im Jahr veranstaltet. Dabei geht es zum einen um die Kirche und religiöse Gruppen in Deutschland. Der zweite Schwerpunkt ist die Aussiedlerproblematik.

Was sich hinter diesem Begriff verbirgt, lernt Tamara Gerber bei ihrer Arbeit ganz konkret kennen. Manchmal etwa gibt es Streit zwischen Ehepartnern, weil einer nicht den Status eines Spätaussiedlers hat und deshalb keine Eingliederungshilfe bekommt. Ein Mann habe deshalb gesagt, er fahre wieder zurück in seine Heimat, und habe im Affekt die Geburtsurkunden und Pässe der ganzen Familie vernichtet, erzählt Tamara Gerber. Ihr sei es jedoch gelungen, dieser Familie zu helfen.

Nichts unternehmen kann die Caritas-Mitarbeiterin hingegen, wenn Spätaussiedler in einem anderen Bundesland untergebracht werden möchten, weil sie dort zum Beispiel einen Bruder oder eine Schwester haben. "Dann können wir hier nicht helfen. Umverteilung geht nicht", stellt Tamara Gerber klar. Dabei versteht sie die Wünsche der Aussiedler nur zu gut. Sie selbst hatte Verwandte in Bielefeld, als sie nach Deutschland kam, wurde aber dem Land Brandenburg zugewiesen. Inzwischen hat sie sich dort eingelebt -und eine Arbeit gefunden, die ihr ans Herz gewachsen ist: "Wenn ich anderen helfen kann und die dann vor Freude strahlen, freue ich mich mit ihnen mit."

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 47 des 51. Jahrgangs (im Jahr 2001).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 22.11.2001

Aktuelle Empfehlung

Der TAG DES HERRN als E-Paper - Jetzt entdecken!

Aktuelle Buchtipps