Käthe Kollwitz und Moritzburg
Auf den Spuren großer Frauen (Teil 9)
Für Sabine Hänisch verbindet sich mit dem Namen Käthe Kollwitz mehr als nur ein Job. Die Leiterin der 1995 eröffneten Käthe-Kollwitz-Gedenkstätte Moritzburg beschäftigt sich intensiv mit dem Leben und Werk der großen Künstlerin. Und dabei entdeckt sie immer wieder Neues. Sabine Hänisch: "Sie und ihr Schaffen beeindrucken mich in ganz vielen Dingen, wie sie das Leben gemeistert hat und mit schwierigen Lebenssituationen fertig wurde. Dies gibt mir Kraft für den eigenen Alltag. Käthe Kollwitz hat eigentlich alles irgendwie vorgelebt." Wer aus dem Sterbezimmer der Käthe Kollwitz nach draußen blickt, befindet sich mitten im Zauber der Moritzburger Kulturlandschaft: Der See, das barocke Schloß, Bäume, Sträucher ... Käthe Kollwitz selbst lebte hier vom 20. Juli 1944 bis zum 22. April 1945, ihrem Todestag. Hier endete für sie eine Zeit des ständigen Unterwegsseins. Zuerst die Flucht aus dem von Bomben bedrohten Berlin - ihre Wohnung und ihr Atelier wurden ein Raub der Flammen -, dann Nordhausen, wo sie bei einer befreundeten Künstlerin Unterkunft fand, doch auch dort konnte sie nicht bleiben. So folgte sie einem Angebot des Prinzen Ernst Heinrich von Sachsen, zu ihm nach Moritzburg zu kommen. Sabine Hänisch berichtet, dass Prinz Ernst Heinrich ein großer Verehrer der Kollwitz war. Um sie sicher unterzubringen wählte er keine Wohnung im Schloß - war es doch ein strategisches Angriffsziel - sondern brachte die Künstlerin im benachbarten Rüdenhof unter. Eine Nachfahrin, Dr. Jutta Bohnke-Kollwitz, beschrieb die damalige Situation in ihrer Rede zur Eröffnung der Gedenkstätte: "Nach den Wochen der Unruhe und des Umhergetriebenseins bot der Rüdenhof Zuflucht und Sicherheit. Die noch warmen Tage auf dem Balkon bis in den späten Herbst hinein, der Blick aus dem Fenster dann auf den winterlichen See, die abendlichen Lesestunden ..., die ganze Behaglichkeit ihres Zimmers, all das half zwar nicht gegen die Trostlosigkeit des nicht enden wollenden Krieges, gegen die Altersdepressionen, die versagenden Augen, die nächtlichen Herzanfälle, aber es wurde für die letzten Lebensmonate zu ihrer Welt. Dort fühlte sie sich nicht länger ,untergebracht', sondern angelangt. Hier wollte sie bleiben. ... Nicht mehr Stätte künstlerischer Aktivität, energievollen Eingreifens, wachen Bewusstseins, aufmerksamen Verfolgens aller Ereignisse. Das war vorbei. Dies war kein Ort zum Leben mehr, dies war der Platz zum Sterben." Diesen Stellenwert im Leben der Kollwitz sollte auch die Gestaltung ihres Sterbezimmers im Rahmen der Gedenkstätte entsprechen. Eine "wohnliche" Einrichtung mit den alten Möbeln aus dem prinzlichen Fundus wäre zwar möglich gewesen, doch man entschied sich anders. Der Besucher tritt so durch eine kleine Zimmerflucht auf den Raum zu und sieht als erstes die Inschrift "22. April 1945" auf einer die Sicht verstellenden Wand. Dahinter erwartet ihn ein fast leerer Raum. So - wie er in den letzten Tagen der Kollwitz aussah - dokumentiert ein zweitteiliges raumfüllendes Foto auf Leinen, unterbrochen wird es nur vom Fenster. Mit dem Sterbezimmer endet der Moritzburger Rundgang durch Leben und Werk von Käthe Kollwitz. Geboren wurde sie am 8. Juli 1867 in Königsberg/Ostpreußen. In ihrer Heimatstadt wurde sie Schülerin des Akademieprofessors Emil Neide. 1891 heiratete sie den Jugendfreund ihres Bruders, Karl Kollwitz. Zwei Söhne werden geboren, Hans 1892 und Peter 1896. In Berlin gelingt der Kollwitz der Durchbruch zur anerkannten Künstlerin. Wichtige Themen sind die sozialen Nöte ihrer Zeit, später kommen ihre großen Werke gegen den Krieg hinzu. Darunter die Grafik "Saatfrüchte dürfen nicht zermahlen werden" - Eine Mutter schützt in dieser Abbildung ihre Kinder, die Worte des Titels stammen von Goethe. Käthe Kollwitz schieb dazu in den Wirren des Zweiten Weltkrieges: "Das ist nun einmal mein Testament ... Diese Forderung ist Nie wieder Krieg! - kein sehnsüchtiger Wunsch, sondern Gebot, Forderung." Dabei wusste die Kollwitz um die Folgen jedes Krieges, ihr Sohn Peter fiel in den ersten Kriegstagen des Jahres 1914. Ihr Können als Künstlerin, ihr Engagement ließen die Kollwitz zu einer der herausragendsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts werden. Sie überzeugte als Frau mit dem was sie machte, ehrlich und ohne Kompromisse. Die Leiterin der Gedenkstätte sagt dazu: "Sie hat als Frau gezeigt, dass sie gehört wird. Ich finde, dies kann auch heute für viele Frauen Vorbild sein. Käthe Kollwitz sprach durch das, was sie tat." Sabine Hänsch verweist auch auf die tiefe Innerlichkeit und Religiosität der großen Künstlerin. Sie sprach zwar kaum darüber, doch Spuren fänden sich überall, in ihren Werken wie in ihren Briefen. Einmal schrieb sie: "Nie habe ich meine Arbeit kalt gemacht, ... sondern immer gewissermaßen mit meinem Blute. Das müssen die, die sie sehen, spüren." Eine Begegnung mit Käthe Kollwitz ist in Moritzburg ganzjährig möglich. Ungefähr 8000 bis 9000 Besucher kommen pro Jahr ins Haus am See, dennoch hofft die Leiterin auf einen höheren Bekanntheitsgrad. Dankbar betont sie: "Die Besucher sind überwiegend sehr beeindruckt und wir bekommen sehr viel positive Resonanz." Holger Jakobi Öffnungszeiten: Samstag und Sonntag von 10 bis 17 Uhr und Dienstag bis Freitag von 11 bis 17 Uhr. Im Winter verkürzte Zeiten.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 12.09.1999