Jetzt 4 Wochen kostenfrei Tag des Herrn lesen!
Bistum Erfurt

Heute muss die Glocke werden

Weimar

Weimar (per) - Ein leichter Bronzegeruch liegt in der Luft. Über die Köpfe der Schaulustigen hinweg sind vier Männer mit Visierhelmen und blauen Schutzanzügen zu sehen. Hinter ihnen steht in vor Hitze flimmernder Luft ein schwarzer transportabler Gießerofen. Die Menge applaudiert. Glockengießer Rudolf Perner aus Karlsruhe hat soeben mit seinem Team glühende Bronze in eine rote Lehmform gegossen. Eine Glocke ist geboren. Ihr Grundton wird das zweigestrichene E"; sein. Die Zuschauer, die sich auf dem Weimarer Marktplatz eingefunden haben, um das Spektakel zu erleben, schauen gebannt auf diese Form, die da dampfend vor ihnen steht. Für das Gießerteam gibt es Bier. Prominente schütteln die Hände der Männer

Ein Jahrhundertereignis"; kommentiert eine Frau das Geschehen. Sie habe sich die ganze Nacht belesen und im Internet zum Stichwort Glocke"; kundig gemacht. Eine Weimarerin hat sich einen Stuhl vom Imbisstand nebenan geschnappt, um mehr Überblick zu haben. Sie hat aus der Zeitung vom Glockenguss erfahren und sich nach dem nachmittäglichen Konzertbesuch extra beeilt, um so was mal selbst mitzuerleben";

Weil die Glocke das Symbol für ein Denkmal schlechthin ist";, sagt Glockengießer Perner, hat die Kulturstadt Weimar die Idee von der Apoldaer Glockengießerfamilie Schilling aufgegriffen, am Tag des offenen Denkmals"; eine Glocke herzustellen."; Bekommen soll sie die an der A 4 gelegene Autobahnkirche Gelmeroda , die durch die Bilder Lyonnel Feiningers bekannt geworden ist. Zunächst einmal muss sie jedoch auskühlen, bevor sie am 9. Oktober in Gelmeroda feierlich geweiht werden kann

Die Bronzeglocke besteht aus 78 Prozent Kupfer und 22 Prozent Zinn und wurde bei rund 1170 Grad Celsius gegossen, erklärt der Glockengießer den Schaulustigen auf dem Weimarer Marktplatz. Beim Gießen komme es darauf an, dass die Bronze mit einem Mal gleichmäßig in ihre Form hineinfließt. Man sieht ihm sein Handwerk an: Sein Gesicht ist rot gebrannt, die Füße stecken in festem Schuhwerk, die Hosen verraten hartes Arbeiten. Während er erzählt, tummeln sich Kinder um die Lehmform mit der flüssigen Bronze darin. Perner schenkt ihnen erkaltete Bronzereste als Andenken

Die Glocke trägt die Aufschrift Kulturstadt Weimar 1999"; und das alttestamentliche Schriftwort Land, Land, Land, höre des Herren Wort!"; (Jer 22,29), weiß der für die Autobahnkirche zuständige evangelische Pfarrer Berlich aus Legefeld zu berichten. Zu sehen ist dies nicht, denn die Glocke steckt in ihrer Form. Der Bibelvers sei auf dem Hintergrund der Inschriften der Vorgängerglocken von 1917 Dem Vaterland zur Wehr"; und 1928 Gott zur Ehr ...";, gewählt worden, an denen - beide wurden in Weltkriegen für militärische Zwecke eingeschmolzen - der Lauf der Geschichte abzulesen sei, sagt der Geistliche

Zu den Schaulustigen - wie sollte es in der Klassikerstadt auch anders sein - haben sich Goethe und Schiller gesellt. Die Hand zum Gruß erhoben, verfolgen sie von einem Balkon des Hotels Elephant"; als blaue Werbeattrappen das Spektakel. Schillers Verse scheinen geradezu zum Greifen nah: Festverwurzelt in der Erden steht die Form, aus Lehm gebrannt. Heute muss die Glocke werden! Frisch, Gesellen, seid zur Hand!"; Die Gesellen"; aus Karlsruhe haben gute Arbeit geleistet. Nun muss die Glocke auskühlen, bevor sie behutsam ausgepackt werden kann. Ab 9. Oktober soll sie dann so manchen Autofahrer mit ihrem Klang erfreuen

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 37 des 49. Jahrgangs (im Jahr 1999).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 19.09.1999

Aktuelle Empfehlung

Der TAG DES HERRN als E-Paper - Jetzt entdecken!

Aktuelle Buchtipps