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Bistum Görlitz

Polen ehren Nachkriegspfarrer - einen Deutschen

Otyn

Otyn (ks / ta / tdh) - Daran ist auf den ersten Blick gar nichts Ungewöhnliches: Bürger und katholische Christen der polnischen Stadt Otyn - früher Deutsch-Wartenberg - stifteten in diesem Jahr eine Gedenktafel zu Ehren ihrer ersten Nachkriegspfarrer. Was jedoch aufmerken lässt: Der erste Seelsorger der Otyner Mariengemeinde nach dem Krieg war ein Deutscher - Pfarrer Otto Stephan

Die polnische Tageszeitung "Tygodnik Krag" veröffentlichte vor wenigen Monaten einen Artikel zu Ehren des Geistlichen. Hatte er doch während seiner gesamten Amtszeit im Wallfahrtsort Otyn keine Unterschiede gemacht zwischen Deutschen und Polen: Nicht während der 30er Jahre als er auch auf die Bedürfnisse vieler Polen in Otyn und Umgebung wie auf die seiner deutschen Gemeinde einging, und auch nicht während des Zweiten Weltkrieges, als er sich zum Ärger der deutschen Regierung um polnische Gläubige kümmerte, sie traute und ihre Neugeborenen auf polnische Namen taufte. Der "Tygodnik Krasg", eine polnische Lokalzeitung, schreibt: "Pfarrer Otto hat sie als seine Pfarrkinder behandelt, für ihn war der Mensch wichtig und nicht seine Nationalität." Als Seelsorger war Otto Stephan, der die Mariengemeinde des Wallfahrtsortes bereits 1920 übernommen hatte, beliebt. Er galt als bescheiden. Für seine gerechte und gütige Ausstrahlung sei er, so die Zeitung, berühmt gewesen. Doch auch als Administrator schätzte die Gemeinde ihn. Hatte er sich doch beispielsweise für die Renovierung der Otyner Kirche eingesetzt. Die damals neuen Fenster sind heute noch zu sehen

Als die Front näher rückte, sorgte sich Stephan um die Marienfigur, die Messgewänder, Geräte und sakrale Gaben. Gemeinsam mit einigen Gemeindegliedern versteckte er sie im Kloster der Stadt. Der Zwangsevakuierung leistete er nicht Folge. Er blieb bei "seinen Schätzen", die den Krieg unbeschadet überstanden. Auch nach Kriegsende hielt er die Gegenstände versteckt. Der neuen polnischen Regierung traute er nicht. Zudem entschied er sich in Otyn zu bleiben. Hier war er noch bis November 1945 Pfarrer. Stephan lernte Polnisch und predigte nach kurzer Zeit bereits in der neuen Sprache. Und er blieb weiterhin in der Pfarrei, als Ende 1945 ein neuer, polnischer Pfarrer kam. Die Sicherheitsbehörden wurden auf ihn aufmerksam. Zudem kreisten Gerüchte um die versteckten Schätze. Pfarrer Stephan wurde verhört, später für eine Woche inhaftiert. Nach seiner Rückkehr verschlechterte sich der Gesundheitszustand von einem Tag auf den anderen. Im Juli 1946 starb er

Einen Monat nach seinem Tod fand der polnische Sicherheitsdienst die versteckten Gegenstände, überließ sie jedoch dem Nachfolger Otto Stephans. Seitdem sind sie wieder in der Otyner Kirche. Seit sechs Jahren treffen sich hier Deutsche und Polen zur Wallfahrt

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 39 des 49. Jahrgangs (im Jahr 1999).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 03.10.1999

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