Maria Magdalena Postel
Auf den Spuren großer Frauen (Teil 12)
Das Eichsfeld hat Ordensgründerin Maria Magdalena Postel nie gesehen und doch ist ihr Name eng mit der Region in der Mitte Deutschlands verbunden. Ihre Kongregation - die Schwes-tern der heiligen Maria Magdalena Pos-tel - sind aus dem Straßenbild Heiligenstadts und des Eichsfeldes nicht mehr wegzudenken. In der Mitte des vorigen Jahrhunderts bildete sich im Eichsfeld eine kleine Gruppe von Lehrerinnen, die in Heiligenstadt und Worbis unterrichteten: Es waren Emilie Hartleb, Emilie Strecker, Margarete Engelhardt, Pauline Koch, Christine Glahn und Franziska Senft. Die vier erstgenannten Frauen werden 1862 die ersten deutschen Mitglieder der bis dahin nur in Frankreich aktiven Kongregation sein. So wird aus Pauline Koch beispielsweise Schwester Julie und aus Emilie Hartleb Schwester Maria
Nach Exerzitien in Worbis nahmen die Lehrerinnen den Kontakt zu der französischen Gemeinschaft auf. Der Schulorden hatte die Absicht, auch in Deutschland Schulen für arme Mädchen zu gründen. Am 24. Dezember 1861 kamen drei französische Schwestern auf dem Eichsfeld an. Im Mai des folgenden Jahres kam die zweite Oberin, Mutter Placida Viel, mit weiteren Schwes-tern nach Heiligenstadt. Der deutsche Zweig war damit gegründet. Mutter Placida kommt zu dem Urteil: "Wir hätten uns in Deutschland nie günstiger niederlassen können. Es gibt keinen Zweifel, dass die göttliche Vorsehung uns in diesem Land wollte." Die deutschen Schwestern werden am 7. Oktober 1862 im Beisein von Bischof Konrad Martin und Mutter Placida in der Neustädter St.-Aegidien-Kirche eingekleidet
Doch zurück zu Maria Magdalena Postel. Am 28. November 1756 erblickt sie in Barfleur in der Normandie das Licht der Welt und bekommt den Namen Julie Francoise Cathérine. Mit zwölf geht sie zum Unterricht in die königliche Benediktinerinnenabtei Valognes. 1774 eröffnet sie in Barfleur eine Schule für arme Mädchen. Es ist ihre Heimat, sie liebt das Meer und das einfache Leben der Menschen. Zwar hätte sie sich für ein Leben bei den Benediktinerinnen entscheiden können, doch war ihr das franziskanische Ideal lieber. Magdalena Padberg schreibt in ihrer kleinen Biografie: "Ihr ging es darum, die Tugenden der Urchristen wieder aufleben zu lassen, soviel Gutes so unscheinbar wie möglich zu tun, Gott grenzenlos zu lieben." Die Reichtümer und Eitelkeiten einer damaligen Abtei blieben ihr fremd
Inhaltlich folgte sie dem Programm des Schulordengründers Jean-Baptist de la Salles. Magdalena Padberg schreibt: "Es setzte die ,natürliche Vernunft aller Menschen' voraus und bemühte sich um die richtige Einstufung der Schüler, um gegenseitige Hilfe der Lernenden, Rücksichtnahme auf die kindliche Vorstellungswelt, um Dialog statt mechanischem Einpauken des Stoffes. Auch Handarbeit, ja sogar musische Betätigung spielten in dieser Methode eine wichtige Rolle, und schließlich hielt sie mehr von Einsicht als vom Rohrstock." Und ihre Methode hat Erfolg, aus den armen Mädchen werden selbstbewusste Frauen. Zudem versteht es Julie Postel, die Seelen der Menschen für Gott zu öffnen
Unbeirrt hält sie auch nach Ausbruch der Französischen Revolution am christlichen Glauben fest. Julie Postel kümmert sich um verfolgte Priester, verhilft ihnen zur Flucht nach England. Den Kranken bringt sie die Kommunion, das Allerheiligste versteckte sie unter der Treppe. Selbst sagt sie über diese Zeit: "Die schönen Mitternachtsmessen, die man damals feierte ... Wie die ersten Christen waren wir ständig unter dem Beil des Henkers, und wie sie schöpften wir einen unbezwingbaren Mut aus dem häufigen Empfang der Eucharis-tie."
Mit 50 Jahren gründet Julie in Cherbourg eine Kongregation, sie wird sich ganz der verlassenen Jugend und den armen Menschen zuwenden. Einem Priester, der sie fragt, ob sie über finanzielle Mittel verfüge, antwortet sie: "Sie liegen allein in der Vorsehung und der persönlichen Armut". Zugleich verweist sie auf ihre Finger und sagt "dies ist mein Kapital". Mit drei Frauen wagt Julie Postel den Sprung ins Ungewisse. Am 8. September 1807 legen sie die ewigen Gelübde ab, Julie heißt von nun an Maria Magdalena, ihre Gemeinschaft erhält den Namen "Arme Töchter der Barmherzigkeit". Weitere Frauen folgen. Nach sechs Jahren in Cherbourg müssen sie das dortige Kloster wieder verlassen, eine Zeit der Wanderschaft beginnt. Immer wieder verlieren sie ihre Bleibe, führen ein Leben in schlimmster Armut. Auch der geistliche Vater der Schwestern, Pfarrer Cabart, versteht das Festhalten Maria Magdalenas nicht, er rät die Gemeinschaft aufzulösen. Mut macht der Gründerin eine Prophezeiung, die sie von einem sterbenden Mädchen erhielt, darin heißt es: "Viele Jahre werden Sie in Tamerville wohnen." Sie wird sich erfüllen. Dortige Familien fordern eine Rückkehr der Frauen, insgesamt 16 Jahre werden sie die Mädchengrundschule führen. Doch Tamerville ist längst nicht die letzte Station im Leben der Maria Magdalena Postel. Die Ruinen der Abtei Saint-Sauveur-le-Vicomte werden gekauft. Zu ihren Schwestern sagt sie: "Gott hat uns nicht berufen, um auf den Ruinen seines Tempels zu weinen, sondern um ihn in seinem ursprünglichen Glanz wieder aufzubauen! Wenn wir Glauben daran haben, wird alles wiedererstehen! Lasst uns voll Dank die verstreuten Steine wieder zusammenfügen ..." Als sie dies sagt, ist Maria Magdalena bereits 76 Jahre alt. Und mit 82 Jahren nimmt sie sich schließlich den Wiederaufbau der Abteikirche vor, sie ist sich dabei sicher, dass ihre Gemeinschaft so groß sein wird, um das Gotteshaus zu füllen
Am 16. Juli 1846 stirbt Maria Magdalena Postel, 1925 wird sie heilig gesprochen. In der zweiten Hälfte ihres Lebens errichtete sie ein Werk, das bis heute vielen Menschen Hilfen, Unterricht und nicht zuletzt auch Freude am Glauben vermittelt
Holger Jakobi
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 03.10.1999