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Bistum Erfurt

Umdenken nötig

Suchthilfe

Leinefelde (ep) - "Auch wenn Sie beschließen, sich tot zu trinken, werden wir dennoch versuchen, Sie menschenwürdig zu begleiten." Mit diesem - an einen schwer alkoholkranken Menschen gerichteten - Satz bringt Sozialarbeiter Hilmar Rohde, Leiter des Caritas-Tagestreffs in Leinefelde, die dramatische Seite seines Dienstes auf den Punkt. Rohde leistet sogenannte niederschwellige Arbeit: Mitten in einem DDR-Plattenbaugebiet in Leinefelde-Süd hält er gemeinsam mit zwei Mitarbeitern den Caritas-Tagestreff "Zur Platte" offen und sucht Suchtkranke auf der Straße und in ihren Quartieren auf. In die Kontaktstelle kommen Menschen, die niemals von sich aus eine Beratung aufsuchen würden. Im Caritas-Tagestreff finden sie ein wenig Beheimatung, haben Gelegenheit, sich und ihre Wäsche zu waschen, gemeinsam mit anderen Zeit zu verbringen und ihr Geld in Verwaltung zu geben. Zudem bieten die Caritas-Mitarbeiter Hilfe in Wohnungs- und anderen Lebensangelegenheiten sowie bei Behördengängen an. Besonders wichtig ist es Rohde und seinen Mitarbeitern, dass ein Vertrauensverhältnis zwischen ihnen und den Besuchern des Tagestreffs wächst, denn nur dann ist mittelfristig auch Hilfe hinsichtlich der Sucht möglich

Diese Form der Sozialarbeit im Rahmen der Suchtkrankenhilfe war Thema eines thüringenweiten Symposiums am 22. September in Leinefelde. Zu der Fachtagung hatte die Thüringer Landesstelle für Suchtgefahren in Kooperation mit dem Caritasverband für das Bistum Erfurt eingeladen. Die rund 60 Teilnehmer, darunter auch Vertreter der Kommunen und des Landes, waren sich weithin darüber einig, dass die Suchtkrankenhilfe dringend als gesellschaftliche Pflichtaufgabe eingestuft werden muss und eine Pauschalfinanzierung braucht. Nur eine gesicherte Finanzierung verbunden mit einem stärkeren Einsatz von Fachkräften könne die Effektivität des Engagements für Suchtkranke weiter verbessern, hieß es

Der derzeitige Vorsitzende der Thüringer Landesstelle für Suchtgefahren, Friedhelm Krull, verwies auf die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich beziehungsweise die zunehmende Zahl der Sozialhilfeempfänger, was Auswirkungen auf das Suchtverhalten habe. Dass es vor dem Therapieziel Abstinzenz von Alkohol und Drogen oft um Überlebenssicherung und Schadensbegrenzung geht und erst dann ein Heilungsprozess in den Blick kommen kann, darauf wies Staatssekretär Klaus Schröder vom Thüringer Sozialministerium hin. Den Betroffenen in seinem Elend aufzufangen, müsse Maßstab sozialstaatlichen Handelns sein. Diese schwierige Arbeit werde in 16 Thüringer Einrichtungen geleistet

"Wir brauchen für diesen sozialen Dienst dringend eine Arbeitsplatzabsicherung", betonte Friedhelm Krull. ABM-Mitarbeiter gingen zwar durchaus motiviert an ihre Aufgaben he-ran, seien aber fachlich nicht selten mit diesem schweren Dienst überfordert. Neben mehr festen Mitarbeitern in der niederschwelligen Arbeit sei eine Änderung in den Verwaltungsstrukturen dringend erforderlich, sagte Krull gegenüber unserer Zeitung. Nötig seien etwa in der Akuthilfe hinsichtlich von Finanzierungsfragen dringend kurze Wege zwischen ambulanter und stationärer Betreuung statt langwierige Antragsformalitäten. Es könne sinnvoll sein, wenn sich die unterschiedlichen Kostenträger ambulanter und stationärer Hilfen die Kosten teilten

Krull, der auch Leiter des Caritas-Suchthilfezentrums S 13 in Erfurt-Melchendorf ist, regte zudem Sprechstunden der zuständigen kommunalen Ämter in den Sozialeinrichtungen an, um der Klientel entgegen zu kommen und stärker Einblicke in die Situation Suchtkranker zu erhalten

Nur vier Prozent der Suchtkranken suchen von sich aus eine Beratungsstelle auf, darauf wies Diözesan-Caritasdirektor Bruno Heller in einem Grußwort am Beginn der Fachtagung hin. Deshalb sei es nötig, als Sozialdiens-te durch Angebote von Kontaktcafes und Teestuben den Betroffenen entgegen zu kommen. Die Caritas habe in dieser Hinsicht in den letzten Jahren "Pionierarbeit" geleistet, sagte Heller. Die Caritas unterhält zum Beispiel in Leinefelde und in Erfurt entsprechende Anlaufstellen

Die Arbeit der zuständigen Sozialarbeiter ist von den Kommunen zu bezahlen, gilt aber nicht als gesellschaftliche Pflichtaufgabe. In Zeiten, in denen die Kassen leerer werden, muss sie also nicht finanziert werden. Um angesichts knapper Finanzen und wachsender Aufgaben im kommunalen Bereich Gelder zu sparen, werden in diesem Bereich nicht selten ABM-Kräfte eingesetzt, die naturgemäß nur über eine kurze Zeit zur Verfügung stehen und fachlich nicht ausreichend qualifiziert sind

Gerade im Bereich der niederschwelligen Arbeit in Kontaktcafes, Wärmestuben und Notnachtquartieren sei es unerlässlich, als Basis für die Akzeptanz von Hilfen Vertrauen beim Klienten zu wecken, was meist nur über längere Zeiträume gelinge. Darauf wies Caritas-Sozialarbeiter Hilmar Rhode hin. Er schilderte an Hand von Beispielen, in welchem sozialen Elend Klienten angetroffen werden. Rohde: "Ich will es manchmal gar nicht glauben, dass man so noch leben kann." Nicht selten gehe es einfach darum, zu verhindern, dass der Betroffene nicht noch tiefer ins Elend rutscht, also beispielsweise seine Wohnung verliert. Viele der Klienten hätten in ihrer Kindheit physische, psychische und sexuelle Gewalt über sich ergehen lassen müssen. Wenngleich es oft schwer sei, die Klienten zu einem Leben ohne Sucht zu führen, bleibe dies natürlich wichtiges Ziel

Auf eine Möglichkeit für eine feste Finanzierung der Suchthilfe wies der Leiter des Referates Suchtprävention und Suchtkrankenhilfe im Thüringer Ministerium für Gesundheit und Soziales, Winfried Funk, hin: Die Träger von Beratungsstellen und ihre hauptamtlichen Mitarbeiter müssten sich flexibel auf die jeweilige soziale Notsituation einlassen. Gegebenenfalls müssten Aufgaben aufgegeben werden, um sich wichtigeren sozialen Feldern, beispielsweise der Suchtkrankenhilfe, zu widmen. Zunächst aber sei hinsichtlich der Arbeit im Suchtbereich eine Bestandsaufnahme in Thüringen erforderlich

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 40 des 49. Jahrgangs (im Jahr 1999).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 10.10.1999

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