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Bistum Erfurt

Von alten und neuen Aufbrüchen

Neue Fenster für die Erfurter St.-Wigbert-Kirche

Ein neues Fenster mit für die St.-Wigbert-Kirche Erfurt (ep) - "Natürlich haben wir in der Gemeinde diskutiert und diskutieren immer noch", sagt Pfarrer Peter Matheis. "Aber es sind keine persönlichen Auseinandersetzungen, sondern ein Ringen in der Sache, das zu einem fruchtbaren Prozess geworden ist."
Seit wenigen Wochen sind die ersten drei neuen Fenster in der Erfurter St.-Wigbert-Kirche montiert - Fenster, die ungewöhnlich gestaltet sind. Sie befinden sich in der Südwand der nahe dem Erfurter Angerbrunnen gelegenen Kirche und wurden in das spätgotische Maßwerk eingesetzt. Inhaltlich widmen sich alle Fenster - vier weitere sind noch geplant - dem großen Thema "Aufbruch": Die drei schon fertig gestellten Fenster erinnern an Aufbrüche im Alten Testament, Aufbrüche in der Apostel- und Kirchengeschichte und an Aufbrüche und Wendepunkte in der Geschichte der DDR-Zeit. Gestalterisch wurde viel mit eigens geschaffenen, aber auch mit bekannten Symbolen und Schrift gearbeitet. Farbe kommt in unterschiedlichen Blau- und Öckertönen sowie mit Weiß und Schwarz nur sehr sparsam zum Einsatz.
Als eine Bombe im Februar 1945 die nahegelegene Barfüßerkirche zerstörte, war die Druckwelle so stark, dass auch die benachbarte St.-Wigbert-Kirche Schaden nahm: Fast alle Scheiben und zum Teil auch das steinerne Maßwerk der Fenster gingen mit zu Bruch, sagt Pfarrer Matheis. Noch 1945 wurde ein Provisorium aus einfachem Fensterglas geschaffen, das teilweise bis zur Stunde besteht. Nur im Chorraum finden sich zwei 1947 entstandene farbige Fensterabschnitte, die die Kreuzigung und die Heiligen Elisabeth, Augustinus und Franziskus zeigen, sowie das aus der Jahrhundertwende stammende Wigbert-Fenster. Doch das soll nun anders werden.
Um die drei neuen Fenster einsetzen zu können, mussten die alten Glassegmente ausgebaut werden. Die St.-Wigbert-Gemeinde hat mit den alten Scheiben eine Aktion gestartet: Gegen eine Spende von zehn Mark kann man ein zehn mal siebzehn Zentimeter kleines Segment mit aufgeklebtem stilisierten Fenster als ein Stück Erfurter Geschichte mit nach Hause nehmen.

"Als vor drei Jahren für uns klar war, dass wir neue Fenster in Auftrag geben werden, haben wir nach einem Grundthema gesucht", sagt Pfarrer Matheis. "Da wir als Pfarrgemeinderat und Gemeinde seit Jahren bestrebt sind, in unsere nichtchristliche Umwelt hinein die Türen zu öffnen und auf die Menschen zuzugehen, lag das urchristliche Thema ,Aufbruch' nahe." Aufbruch, das heißt für die Gemeinde zum Beispiel, im Sommer die unmittelbar an der Fußgängerzone gelegene Kirche durch Ehrenamtliche und ABM-Leute offen zuhalten. Aufbruch heißt auch, mit Hilfe einer in der Gemeinde eingerichteten "Diakonischen Kasse" Menschen in der eigenen Pfarrgemeinde, die in Not sind, zu helfen, wie Pfarrer Matheis berichtet.

Bei der Auswahl des künstlerischen Entwurfs entschieden sich die Verantwortlichen für eine moderne Form, nachdem mancher in der Gemeinde und auch die Kunstkommission des Bistums zunächst für Scheiben mit farbigen Ornamenten plädiert hatten. "In unserer spätgotischen Kirche haben wir einen spätgotischen Flügelaltar, ein Sakramentshaus aus der Renaissancezeit, barockes Gestühl, Rokoko-Beichtstühle, einen Ambo mit der Figur eines Sämanns aus den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts ... Die St. Wigbert-Gemeinde hat also nie nur in der Vergangenheit gelebt, sondern immer wieder auch etwas im Stil ihrer Zeit in die Kirche gestellt. Da dürfen wir bei sorgsamer Abwägung dies heute mit unseren Fenstern auch tun." Der Denkmalschutz zeigte sich mit der Entscheidung einverstanden.

Gemeinsam mit dem hessischen Künstler Wladimir Olenburg aus Bad Wildungen wurde bei insgesamt sechs Zusammenkünften und im Rahmen eines Gemeindefestes mit der Gemeinde die Gestaltung erarbeitet. So entstanden die Ideen, das Fenster zum Alten Testament mit hebräischen Schriftzügen oder das zum 20. Jahrhundert mit einem Satz in deutscher Schreibschrift zu versehen sowie Ereignisse wie den Mauerbau, die Einführung des Wehrkundeunterrichtes in der DDR und den damit verbundenen Beginn der Erfurter Friedensgebete 1978, die friedliche Revolution von 1989 und ein großes Fragezeichen für die Zukunft darzustellen.

Die Fenster, die nun in St. Wigbert zu sehen sind, fallen aus dem Rahmen des Gewohnten: Die ausgewählten Themen, Ereignisse aus der Bibel, aus der Kirchen- und aus der aktuellen Geschichte wiederzugeben, wurde auch schon in der Gotik praktiziert. Ungewöhnlich ist hingegen, dies nicht figürlich, sondern in geometischen Formen und einigen gängigen Symbolen, wissenschaftlichen Formeln, Internet-Adresse www.jesus.de und Börsendaten zu tun. Letztere Elemente werden ein Fenster zieren, das noch an der Südwand neben der Orgelempore eingebaut werden soll und Aufbrüche des 20. Jahrhunderts thematisiert. Weitere Fenster sollen zu den Themen Aufbrüche im Neuen Testament, Aufbrüche des Menschen als Individuum im Bezug auf Entwicklung und Entfaltung des Menschseins und hinsichtlich seines Suchens nach den richtigen Wegen entstehen.

In dem inzwischen auch in verschiedenen Gottesdiensten auf die Fenster eingegangen wurde, können sich die meisten Gemeindemitglieder mit den Fenstern identifizieren, ist zu hören.

Pfarrer Matheis hofft, dass noch in diesem Jahr auch die weiteren vier Fenster fertig werden - Voraussetzung dafür, dass die dringend notwendige Renovierung der Kirche erfolgen kann. Doch ob dies gelingt und in welcher Weise, ist noch offen: Zum einen wurden die drei überkommenen Fenster im Chorraum mit entsprechenden Kosten erst vor drei Jahren restauriert. Ein durchaus mögliches Umsetzen der beiden farbigen Fensterabschnitte von 1947 in das Maßwerk in der Nordwand des Kirchenschiffs würde erneut Kosten verursachen, ebenso die Umsetzung des Wigbertfensters an die Südwand über das Sakramentshaus. Dann allerdings bestünde die Möglichkeit, im Chorraum die neuen Fenster zu Aufbrüchen im Neuen Testament über dem Flügelaltar sowie zu Aufbrüchen des Menschen als Individuum rechts und links davon zu installieren und damit eine inhaltlich stimmige Gestaltung zu schaffen. Doch das erfordert über den gesteckten Finanzrahmen von 220 000 Mark hinaus zusätzliches Geld. Und hier stehen Entscheidungen noch aus. Schließlich müsse die Gemeinde einen Großteil des Geldes - 68 000 Mark wurden vom Bischöflichen Ordinariat beigesteuert - selbst aufbringen, so der Pfarrer.

Ab Mai ist geplant, in der Kirche wieder einen Dienst einzurichten, der es Interessierten ermöglicht, das Gotteshaus zum Gebet zu besuchen und sich die neuen Fenster anzuschauen. Eine Legende soll den Besuchern künftig dabei helfen, sich in die Aussagen der Fenster hineinzudenken.

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 16 des 51. Jahrgangs (im Jahr 2001).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Mittwoch, 18.04.2001

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