Nachdenken über 10 Jahre Demokratie
Christliche Politiker
Halle (dw) - Von christlichen Politikern erwartet sich der Magdeburger Bischof Leo Nowak einiges. Das machte er gegenüber einer Gruppe von Engagierten in der Kommunal- und Landespolitik deutlich, die am 1. Oktober in Halle der Einladung von Katholischem Büro und Katholischer Akademie des Bistums Magdeburg zu einem Gedankenaustausch zehn Jahre nach der Wende gefolgt waren
Von den katholischen Politikern im Lande erhofft sich der Bischof, dass sie "ihr Ohr zu den Menschen hinhalten und sich nicht mit Informationen aus zweiter Hand begnügen", dass sie sich ab und an als christliche Politiker "outen", sich für Schwache und Benachteiligte, für Kinder- und Familieneinrichtungen sowie für Schulen in freier Trägerschaft einsetzten
Sie sollten über eine Kultur des Sonntags und nicht nur über Ladenöffnungszeiten sprechen und glaubwürdige Menschen sein, die "mit Schwung und Elan die Karre der Gesellschaft nach vorn bringen". Der Bischof machte den Frauen und Männern Mut, das Evangelium zur Richtschnur ihres politischen Handelns zu machen. Er empfahl ihnen, ihr Leben hin und wieder auf dem Hintergrund des Kreuzes Jesu Christi zu betrachten. Das Scheitern Jesu sei nicht der Endpunkt. Gerade in dunklen Augenblicken gehe Christus mit den Menschen ihren Weg. Leo Nowak dankte den Politikern, dass sie sich für das Wohl des Landes und der Menschen einsetzten, obwohl sie dafür manche Kritik einstecken müssten
Während die Veranstaltungsteilnehmerinnen den Abend schweigend verbrachten, äußerten sich männliche, überwiegend der CDU zugehörige Politiker anschließend zu ihrer persönlichen Erfahrungswelt. "Früher habe ich nie Feinde gehabt. Erst seit ich in den Stadtrat gewählt wurde, weiß ich mit dem Bibelwort ,Liebet eure Feinde' etwas anzufangen", sagte ein Hallenser
"Wenn ich nicht Christ wäre, wäre ich nicht Kommunalpolitiker", äußerte der Helbraer Verwaltungsamtsleiter Bernhard Skrypek. Christliche Politik bedeute für ihn, für alle Bürger da zu sein, ganz besonders aber für diejenigen, die sich selbst nicht helfen könnten. Wichtig für seine politische Arbeit sei die Partnerschaft mit einer russischen Gemeinde gewesen. Seit einem Russlandbesuch, der Einblicke in die dortige desolate Lage verschafft habe, sehe er die hiesige politische Situation in völlig anderem Licht. Unvergesslich sei auch die Erfahrung, von politischen Gegnern aus dem Amt gedrängt zu werden. In dieser Zeit habe er Solidarität und Zuspruch aus seiner Kirchengemeinde erlebt und habe die Kraft gefunden zu verzeihen
Der hallesche Oberbürgermeister Dr. Klaus Rauen sieht einen Schwerpunkt christlicher Politik in der Förderung der Eigenverantwortung und belegte diese These mit Zitaten eines Arbeits-papiers der Deutschen Bischofskonferenz. Seinem Eindruck zufolge habe der DDR-Vollvertretungsanspruch die Bereitschaft der Bürger, selbst Verantwortung zu übernehmen, verkümmern lassen, sagte Rauen, der 1991 aus dem Rheinland nach Halle gekommen ist, und löste damit eine Diskussion aus. Die meisten der in der DDR aufgewachsenen Politiker teilten seine Einschätzung. "Wir haben in einem Menschenzoo gelebt und viele von uns kommen mit der plötzlichen Freiheit noch nicht klar", wurde in einer Wortmeldung sogar noch zugespitzt
Ein Politiker des Neuen Forums kritisierte dagegen die "Kälte" des demokratischen Sys-tems. In den Ämtern der DDR habe er Menschen vorgefunden und sei als Mensch sogar bei Vertretern der Staatssicherheit ernst genommen worden. Heute erlebe er ständig, dass Menschen sich hinter Vorschriften versteckten
Ein Landespolitiker äußerte seine Überzeugung, dass Jesus Christus nicht der Welt der heimeligen Unfreiheit, sondern der Welt der Freiheit zuzurechnen sei
Für sein politisches Engagement seien ihm Worte des früheren US-Präsidenten Jimmy Carter, eines engagierten Baptisten, wichtig geworden: "In der Politik muss die Liebe hartnäckig in Gerechtigkeit übersetzt werden". Für den Umgang mit Andersdenkenden, die in der DDR politische Schuld auf sich geladen hätten, helfe ihm Carters Wort: "Alle Menschen sind Sünder, alle können erlöst werden"
Politiker aus dem nördlichen Teil des Bistums treffen sich am 8. Oktober um 17.30 Uhr im Magdeburger Roncalli-Haus. Die Katholische Akademie des Bistums Magdeburg plant, künftig in regelmäßigen Abständen zu Politikerforen einzuladen
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 10.10.1999