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Placida Viel

Auf den Spuren großer Frauen (Teil 13)

Nicht ohne Stolz verweist Schwester Maria Manuela auf zwei im Garten eingelassene Stufen, sie stammen aus dem Vorgängerbau. "Über sie ging schon Mutter Placida", berichtet Sr. Maria Manuela, die Leiterin der Berufsbildenden Schule. Placida Viel ist überall im Heiligenstädter Bergkloster gegenwärtig, den Besucher begrüßt ihr Bild bereits an der Pforte. Sie war es, die die "Armen Töchter der Barmherzigkeit" 1862 nach Heiligenstadt brachte und damit dem Wunsch von vier Eichsfelder Frauen entsprach, sich der Gemeinschaft anzuschließen. Gegründet wurde die "Armen Töchter der Barmherzigkeit" von Maria Magdalena Postel, nach ihr ist sie heute auch benannt (siehe auch Tag des Herrn, Ausgabe 39, Seite 20). Eingebürgert hat sich zudem ein anderer Name: Die Heiligenstädter Schulschwestern

Die Schwestern haben seit ihrer Gründung wechselvolle Zeiten erlebt. Der Kulturkampf im deutschen Kaiserreich schränkte ihre Arbeit ein, später kamen die Nazis und dann die DDR. Heute herrschen wieder normale Verhältnisse auf dem Heiligenstädter Berg. Ein neues Kloster wurde gebaut, und auch die Schüler sind zurückgekehrt. Grundlage dafür, so Sr. Maria Manuela, war das Erzieherinnen-Seminar. Es bewahrte zu DDR-Zeiten die ursprüngliche Bildungsaufgabe der Gemeinschaft und war so die Basis für einen Neuanfang im Schulbereich. Heute gibt es auf dem Berg zwei Schulen: Das Gymnasium und die Berufsbildende Schule. Und für die ganz Kleinen gibt es einen Kindergarten

Placida Viel war sich schon 1862 sicher, dass es gut war nach Heiligenstadt zu kommen. Sie sagte: "Wir hätten uns in Deutschland nie günstiger niederlassen können. Es bleibt kein Zweifel, dass die göttliche Vorsehung uns in diesem Land wollte." Ein wichtiger Aspekt liegt sicher auch in der Brücke, die die Schwestern von Frankreich nach Deutschland schlugen, gerade in einer vom Nationalismus geprägten Zeit. Der Deutsch-Französische Krieg von 1870/71 traf Placida Viel, ihre Liebe kannte keine nationalen Grenzen. Sr. Andrea Stratmann schreibt in ihrer kleinen Biografie: "Während einige deutsche Schwestern diesseits der Front den Kranken und Sterbenden zu Hilfe eilten, arbeiteten ihre französischen Mitschwestern jenseits der Front im gleichen Einsatz. In selbstlosem Dienst überwanden sie den Hass, der die Völker trennte. Zeugen bestätigen: Ohne jegliche Unterstützung durch den Staat wurden in diesen Monaten in der Abtei Tausende von Soldaten liebevoll gepflegt, bekamen alles, was sie brauchten, und beim Verlassen des Hauses sogar noch ein paar Francs mit auf den Weg." Placida Viel vertraute auf den Grundsatz: "Geben wir freudig. Vertrauen wir der göttlichen Vorsehung wie unsere verehrte Gründerin, und nichts wird uns fehlen."

Wie Maria Magdalena Postel stammt auch Placida Viel aus der Normandie. Geboren wurde sie am 26. September 1815 im kleinen Dorf Val Vacher, am gleichen Tag wird sie auf den Namen Victoria getauft. Die Gemeinschaft der "Armen Töchter der Barmherzigkeit" kannte sie durch ihre Tante, Louise Viel, diese machte die schwere Anfangszeit zusammen mit Maria Magdalena Postel und anderen Schwestern durch. Ende 1832 oder Anfang 1832 besucht Victoria ihre Tante in der Abtei Saint-Sauveur-le-Vicomte. Schon im Mai 1833 nimmt sie von ihrem Elternhaus Abschied, um in die Gemeinschaft einzutreten. Ihre spirituelle Bildung erhält sie von Maria Magdalena Postel selbst, wie alle anderen Novizinnen auch. Schwes-ter Placida macht es sich nicht leicht. Um ganz für Gott zu leben, stellt sie sogar den Briefwechsel mit ihrem Vater ein. Besonders problematisch für sie war ihre Schüchternheit. Diese muss sie immer wieder überwinden, so beispielsweise 1843 als sie von Maria Magdalena Postel nach Paris geschickt wird, um sich für den Wiederaufbau der Abteikirche einzusetzen und um Spenden dafür zu bitten. Kaum am Tor des Klosters angekommen, kehrte sie ängstlich um, wird jedoch von der Oberin wieder auf die Reise geschickt. Diese wird ungeachtet aller Befürchtungen und Enttäuschungen zu einem Erfolg. Sr. Andrea Stratmann schreibt: "Der bescheidenen Schwester öffneten sich die Türen zum Hof des Regenten und zur Regierung ebenso wie die der Adeligen und reicher Kaufleute."

Als Maria Magdalena Postel stirbt, zählt die Gemeinschaft rund 170 Schwestern, insgesamt 37 Niederlassungen waren entstanden. Am 5. September 1846 wählt das Generalkapitel Sr. Placida mit nur zwei Gegenstimmen zur Nachfolgerin. Sie möchte jedoch dieses Amt nicht annehmen. Sr. Andrea Stratmann dazu: "Nach langem, inständigem Beten und Ringen am Grab der Mutter erhielt Sr. Placida die Gewissheit: Maria Magdalena bleibe weiterhin die eigentliche Leiterin der Gemeinschaft. Nur mit dieser Zusage wagte sie es, die Entscheidung des Generalkapitels anzunehmen. In ihrer Bescheidenheit dachte sie gar nicht daran, auch nur annähernd Maria Magdalena ersetzen zu können." Aber wie sich Mutter Placida für ihre Gemeinschaft in all den Jahren einsetzt, zeigt ein Wort von Bischof Daniel von Coutances. Er sagte: "Ich könnte ihr die Zügel meiner Diözese anvertrauen und dabei ganz ruhig schlafen."

Zahlreichen "Bettelreisen" und auch Konflikte in der Gemeinschaft hatten Placida Viel krank gemacht. Sie starb am 4. März 1877, einem Sonntag. Als Oberin hinterließ sie ein "gut bestelltes Haus" und die Neugründung in Deutschland. Von dort aus - der Zweig wurde 1920 selbstständig - breitete sich die Gemeinschaft in den Niederlanden, Bolivien - beide 1924 - und 1937 in Brasilien aus. Am 6. Mai 1951 wurde Placida Viel selig gesprochen. Und so wie sich ihre unsichtbaren Spuren auf den beiden im Garten eingelassenen Stufen erhalten haben, so hat auch ihre Gemeinschaft bis heute das Eichsfeld geprägt

Holger Jakobi

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 40 des 49. Jahrgangs (im Jahr 1999).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 10.10.1999

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