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Bistum Magdeburg

Caritas und Gemeinde sollen Hand in Hand arbeiten

Interview mit Christa Kramer

Die langjährige Abteilungsleiterin für Sozialarbeit beim Caritasverband der Diözese Magdeburg, Christa-Maria Kramer, ist vor einigen Monaten in den Ruhestand gegangen. Am 5. Oktober hat sich der Verband offiziell von ihr verabschiedet. Nach Beendigung des Studiums in Westberlin hatte sie seit September 1961 bei der Caritas gearbeitet, unterbrochen nur durch ein vierjähriges Theologiestudium. Im Tag des Herrn-Interview äußert sich Frau Kramer, deren Stelle in Magdeburg bis heute nicht wieder besetzt worden ist, zum Miteinander von Gemeinde und Caritas.

Zu Ihren größten Anliegen gehörte immer, dass der Caritasverband gemeindeorientiert arbeitet. Wie sehen Sie diese Ausrichtung heute verwirklicht?
Zu DDR-Zeiten war die Caritasarbeit der Dekanatsstellen ganz auf die Gemeinden beschränkt, der enge Kontakt war gewissermaßen existenziell. In den Jahren nach der Wende haben viele Sozialarbeiter mit Erschrecken festgestellt, dass sie sich immer mehr von den Gemeinden entfernen. Das hat sicher verschiedene Ursachen. Der Caritasverband konnte sein Beratungsangebot um verschiedene Spezialberatungen erweitern. Damit rückte er ins Blickfeld von Menschen, die ihn bisher nicht kannten und die nun diese Angebote in Anspruch nehmen. Andererseits erschwert die Struktur der Caritasarbeit - oft ist nur ein Sozialarbeiter für ein ganzes Dekanat zuständig - die Arbeit in der einzelnen Gemeinde. Ratsuchende wenden sich an die nächstgelegene Stelle, und das ist nicht immer die Beratungsstelle des Caritasverbandes. Dazu kommen neue Aufgaben, wie zum Beispiel die Mitarbeit in diversen Gremien auf kommunaler oder Kreisebene. Da bleibt einfach weniger Zeit für Besuche, beispielsweise in Kreisen ehrenamtlicher Mitarbeiter oder Seniorengruppen. Wo aber keine regelmäßigen Kontakte mehr gehalten werden können, wird das Miteinander weniger, zum Schaden für beide Seiten.
Liegt nicht eine Chance darin, dass die Caritas heute über den innerkirchlichen Horizont hinausblicken kann und sich stärker als früher auch den Problemen der nichtgetauften Menschen in Not zuwenden kann?
Ja, diese Chance sehen wir alle und begrüßen sie, denn die Kirche und damit auch der Caritasverband sind in die Welt gesandt, um allen Menschen Zeugnis von der Liebe Gottes zu geben. Das ist der Auftrag an die ganze Kirche, das heißt, auch die Gemeinden brauchen die Öffnung über Kirchenmauern hinaus, um anziehend für andere zu werden. Außerdem müsste die Grundfunktion der Diakonie wieder stärker als Lebensäußerung der Kirche entdeckt werden. Der Dienst für Menschen in Not ist oft das Erste, was ungetaufte Menschen von der Kirche wahrnehmen.
Was muss in den Gemeinden geschehen, damit die Gläubigen sich stärker mit der Caritas identifizieren?
In manchen Gemeinden hat sich der Gedanke festgesetzt: "Wir haben ja den Caritasverband, der wird es schon richten." Ich denke, dass diese Einstellung fatale Folgen haben kann, weil die Gemeinde ihre Verantwortung abgibt. Innerhalb der Gemeinde müsste mehr über soziale Probleme gesprochen werden, um die Sensibilität für Menschen in Schwierigkeiten zu wecken und die Solidarität und Verantwortung zu stärken. Hier sind sowohl der Verband als auch die pastoralen Mitarbeiter gefragt. Netzwerke der Hilfe müssen vor Ort entstehen, der Caritas-Sozialarbeiter kann nur unterstützend begleiten. Zum anderen wird in manchen Gemeinden der Caritasverband nicht als der eigene Wohlfahrtsverband wahrgenommen. Zu wenige Katholiken sind Mitglieder im Caritasverband - und da fällt eine Identifikation natürlich schwer.
Beim Caritasverband ist eine wachsende Zahl ungetaufter Mitarbeiter beschäftigt. Lässt sich mit ihnen überhaupt gemeindeorientiert arbeiten?
Sicher kann das im konkreten Einzelfall schwierig sein. Aber der Verband hat die Aufgabe, dem Mitarbeiter zu helfen, Zugang zu den Gemeinden zu finden. Natürlich geht das nur, wenn auch der Mitarbeiter seinerseits den Kontakt sucht. Es wird also nur in beiderseitiger Offenheit und Bereitschaft gelingen.
Wie stellen Sie sich den gemeindeorientierten Caritasverband der Zukunft vor?
Hauptamtliche Mitarbeiter der Caritas haben nicht die Aufgabe, den Gemeinden ihre Verantwortung abzunehmen. Sondern sie sollen die Augen für Nöte öffnen, die Arbeit der Ehrenamtlichen unterstützen, Bildungsangebote machen, Netze der gegenseitigen Hilfe anregen und begleiten. Pastorale Mitarbeiter haben nicht immer einen geschärften Blick für soziale Nöte. Ich denke da an einen Pfarrer, der eine größere Geldsumme für die Armen in seiner Gemeinde geschenkt bekommen hatte. Obwohl er einen guten Blick für die Situation von Menschen hat, fiel es ihm doch nicht leicht, Arme in seiner Gemeinde zu entde-cken. Im Gespräch mit einer Caritasmitarbeiterin wurde dann deutlich, wohin das Geld gehen könnte - zu kinderreichen Familien, Alleinerziehenden, Sozialhilfeempfängern. Seine Erfahrung: Am Ende reichte das Geld nicht aus.
Probleme werden heute in vielen Bereichen immer komplizierter. Nicht zuletzt aus diesem Grunde richtet die Caritas neben den allgemeinen sozialen Beratungsdiensten zunehmend Spezialdienste ein, in denen Fachleute zum Einsatz kommen. Was dürfen sich ehrenamtliche Gemeindemitglieder überhaupt noch zutrauen, ohne den Caritas-Fachberatern ins Handwerk zu pfuschen?
Es gibt nach wie vor vieles, was Ehrenamtliche mit der ihnen eigenen Kompetenz, ihrem Wissen und ihrer Lebenserfahrung tun können. Mitmenschlichkeit und Interesse am Wohlergehen des Anderen sind nicht von einer Berufsausbildung abhängig. Ihre größere Nähe zum Hilfsbedürftigen ermöglicht es ihnen - und das ist ihre Stärke und ihr Vorteil - eher, eine Notsituation wahrzunehmen. Der Sozialarbeiter wird häufig erst damit konfrontiert, wenn jemand zu ihm in die Beratungsstelle kommt. Außerdem habe ich immer wieder erfahren, dass schwierige oder belastende Situationen gar nicht die Fachfrau oder den Fachmann brauchen, sondern nur einen Menschen in der Nähe, auf den man sich verlassen kann - und gerade darin liegt ja die Chance der Gemeinde, wirklich Gemeinschaft zu sein, in der man sich kennt und wahrnimmt.
Geld ist bei der Caritas heute ein erheblich größeres Thema als zu DDR-Zeiten. Was bedeutet das für die gemeindeorientierte Arbeit der Caritas?
Da die Caritas früher fast ausschließlich mit Kirchenmitteln arbeitete, fühlten sich die Gemeinden stärker verantwortlich. Patenschaften und die Weihnachtswunschzettelaktion für Kinderheime beispielsweise waren damals eine feste Einrichtung. Heute heißt es schnell: "Es gibt doch staatliche Gelder". Die Motivation, sich an den Caritas-Sammlungen zu beteiligen, hat darunter gelitten. Man merkt nicht mehr, dass zum Gutes-Tun auch Geld gehört, zum Beispiel für die Schulung von Ehrenamtlichen oder unbürokratische finanzielle Unterstützung von Menschen in Not. Es passiert, dass Gemeinden die Sammlungsunterlagen ungeöffnet zurückschicken mit dem Hinweis, dass Sammlungen doch nicht mehr nötig seien. Es gibt aber auch andere Beispiele. Gemeinden verzichten auf ihren Anteil an den Caritas-Mitgliedsbeiträgen und machen darüber hinaus das Angebot, dass sich Sozialarbeiter der Caritas bei ihnen melden können, wenn sie für Hilfen Geld brauchen. Andere sagen: "Ich habe keine Zeit zu helfen, aber ich gebe Ihnen Geld." So hilft jeder mit dem, was er kann oder was er hat. Um noch einmal auf die Ausgangsfrage zu kommen: Das Miteinander von Gemeinden und Caritasverband ist ein Weg, den keiner allein gehen kann - ohne Gemeindebezug verliert der Cariasverband seine Wurzeln, und ohne karitative Diakonie verraten die Gemeinden das Hauptgebot.

Interview: Dorothee Wanzek

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 42 des 49. Jahrgangs (im Jahr 1999).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 24.10.1999

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