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Aus der Region

Ich weiß auch keine Antwort

Besuch in Medjugorje

Ein Mädchen betet in Medjugorje Durch die Ereignisse in Marpingen (Tag des Herrn berichtete, unter anderem Nr. 41, Seite 3) wird gegenwärtig wieder viel über Marienerscheinungen geschrieben und gesprochen. In Medjugorje (Bosnien-Herzegowina) soll seit 1981 die Gottesmutter erscheinen. Die kirchlichen Stellen halten sich mit einem Urteil über die Echtheit der Erscheinungen zurück. Vikar Ronald Kudla (Torgau) hat Medjugorje besucht und schildert im folgenden Beitrag seine Gedanken:

Der Ort wirkt auf mich eigentlich nicht besonders interessant: Eine Menge Häuser auf einer weiten Ebene verstreut, dazwischen Felder, rundherum ein paar kahle Berge. Alles kommt mir ziemlich gewöhnlich vor. In diesem Ort soll Maria erscheinen. Ich gebe zu: Irgendwie hatte ich wenigstens ein malerisches Bergdorf erwartet, wenn ich mir Medjugorje in Bosnien-Herzegowina vorzustellen versuchte - in der Art wie es auf religiösen Spruchkarten dargestellt wird

Vor allem die Neugier hat mich hierher getrieben. Schon oft hatte ich die Geschichte von den sechs Jugendlichen gehört, die mittlerweile erwachsen sind und denen seit 1981 regelmäßig die Gottesmutter erscheinen soll. Eigentlich kann ich mit solchen mysteriösen Sachen schlecht etwas anfangen. Was soll ich denn noch alles glauben! An einem Gott festzuhalten, der kaum zu sehen ist, dürfte ja auch schon ziemlich viel sein. Andererseits bemerke ich sofort meinen Denkfehler: Ist mein Glaube an Gott vielleicht nur deswegen so stark, weil er mir keine außergewöhnlichen Dinge zumutet?

So trat ich meine Reise mit sehr zwiespältigen Gefühlen an. Einige Leute prophezeiten mir: Auch du wirst dich in Medjugorje bekehren! Die Gottesmutter wird auch dir gewissermaßen erscheinen. Da ich vor Bekehrung keine Angst habe, machte ich mich auf den Weg

Schon am Ortseingang wurde meine Bekehrungsbereitschaft auf eine harte Probe gestellt. Alle Vorurteile gegenüber Kitsch in der Kirche fielen mir ein, als ich die Souvenirläden mit den bleichgesichtigen Gipsmadonnen und den verklärten Herz-Jesus-Bildern sah. Das entspricht einfach nicht meinem Geschmack. Kann sowas von Gott sein? Ich muss zugeben, dass ich schon öfter festgestellt habe, dass nicht alle Christen meinen Geschmack teilen

Ein ähnliches Gefühl wie in den Andenkenläden hatte ich, als ich das erste Mal einige der Botschaften hörte, die von der "Gospa" kommen sollen: "Seid stark und betet!" oder "Möge jeder Tag für euch ein freudenvolles Zeugnis der Liebe Gottes sein" oder "Sucht den Frieden!". Das klingt sehr banal. Um uns diese Einsichten zu vermitteln kommt die Gottesmutter also zu uns? Irgendwann fiel mir aber ein, dass Maria eine einfache Frau gewesen ist und dass solche Äußerungen wohl besser zu ihr passen, als der Versuch, uns irgendwelche neuen religiösen Erkenntnisse zu vermitteln

Aber warum erscheint nicht Jesus selber? Ich finde keine zufrieden stellende Antwort. Ich weiß nur, dass manche Prediger in Medjugorje diese Frage gern behandeln und die besondere Rolle Marias in unserer Zeit herausstellen: "Sie ist eine Frau, sie ist mütterlich, sie ist eine Liebende, eine Empfangende, sie könnte heute am besten den Glauben lehren." Mir gefällt das irgendwie

Es bewegt mich auch, wenn ich erfahre, dass Maria in diesem kriegsgeschüttelten Land "Königin des Friedens" genannt wird. Tatsächlich erblicke ich überall im Dorf Menschen, die sich nach den Empfehlungen der "Königin des Friedens" richten. Sie besuchen l9 Uhr die heilige Messe. Sie empfangen das Bußsakrament, erklimmen den Kreuzberg und essen an manchen Tagen nur trockenes Brot, und vor allem: Sie beten den Rosenkranz. Ständig begegnet mir einer, der in sich versunken, die Perlen durch die Finger gleiten lässt. Ich glaube, viele wünschen sich das neue liebende, friedvolle Herz, die innere Verwandlung, die die Gottesmutter verspricht

Ich habe Zeit und probiere es auch aus. Und ich glaube es funktioniert. Der Rosenkranz kann wirklich ein meditatives, tiefe Seelenschichten erfassendes Gebet sein, gerade weil der fast allmächtige Verstand dabei entlastet wird. Das ist aber noch kein Beweis für die Echtheit der Erscheinungen

Irgendwann befinde ich mich in einer großen Versammlung, in der eine der Seherinnen namens Marija vorgestellt wird. Ich gebe mir Mühe, etwas Seltsames an ihr zu entdecken: Vielleicht ihre Kleidung, ihr Lachen, ihre Bewegungen? Ich gebe auf. Das Außergewöhnliche an ihr ist, dass sie so schrecklich normal ist. Erst als sie anfängt von Maria zu erzählen wie von einer guten Bekannten, komme ich mir vor wie im falschen Film. Sollte diese Frau wirklich die Kraft haben, fast 20 Jahre lang Tausende von Menschen zu täuschen? Auch hier weiß ich keine Antwort

Ich bin in Medjugorje von den Erscheinungen nicht restlos überzeugt worden. Ich halte mich wie die Kirchenleitung mit einem Urteil über die Echtheit zurück. Trotzdem fühle ich mich irgendwie bekehrt. Ich bin ziemlich aufmerksam geworden und bilde mir ein, an so vielen Stellen meines Alltags Gottes Liebe und die Gegenwart seiner Leben spendenden Kraft zu entdecken. Irgendwie scheint das für einen lebendigen Glauben sehr wichtig zu sein. Und wenn ich es als etwas erkenne, über das ich keine Gewalt habe, liegt das vielleicht gar nicht so weit entfernt von dem, was andere "Erscheinung" nennen

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 43 des 49. Jahrgangs (im Jahr 1999).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 31.10.1999

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