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Aus der Region

PDS stellt die Stellung der Kirchen in Frage

Politik

W. Weinrich Frage: Herr Ordinariatsrat Weinrich, hat sich die SED zu einer demokratischen Partei PDS gewandelt?

Weinrich: Nach ihrem derzeit verbindlichen Programm und ihren sonstigen Aussagen halte ich die PDS für keine zweifelsfrei demokratische Partei. Wenn ich zum Beispiel sehe, wie sie die parlamentarische Demokratie bewertet: Die PDS setzt in ihrem Parteiprogramm eher auf außerparlamentarische Politikformen als auf demokratische Institutionen, wenn es etwa heißt: "Die PDS hält den außerparlamentarischen Kampf um gesellschaftliche Veränderungen für entscheidend."

Für die PDS sind also Formen außerparlamentarischer Meinungsbildung wie Runde Tische, Betroffenheitsinitiativen und plebiszitäre Elemente die maßgebliche Art und Weise, Entscheidungen zu treffen, und nicht eine Ergänzung zur parlamentarischen Arbeit

Hinzu kommt: Wenn ich mir die Äußerung des PDS-Landesvorsitzenden und jetzigen Stellvertretenden Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern, Helmut Holters, vor Augen führe, der 1998 beim Sternberger Landesparteitag gesagt hat, "Die PDS bleibt sozialistisch, antikapitalistisch und Sys-temopposition", frage ich mich, inwieweit die PDS überhaupt bereit ist, in der freiheitlichen Demokratie Verantwortung zu übernehmen

Frage: Die SED ging von einem materialistisch-atheistischen Menschenbild aus, das mit der christlichen Sicht vom Menschen nicht vereinbar war. Wie steht es um das Menschenbild der PDS?

Weinrich: Christen betrachten - ausgehend von der Würde und Freiheit der menschlichen Person - die Verantwortung des Einzelnen für das Gemeinwesen in Verbindung mit den Prinzipien von Solidarität und Subsidiarität als wesentlich. Die PDS betont die soziale Dimension des Menschen, die von äußeren Einflüssen bestimmt wird. In ihrem Programm vertraut sie nicht so sehr der Verantwortung des Einzelnen und den verschiedenen Akteuren in der Gesellschaft, sondern erwartet die Lösung vieler Aufgaben vom Staat. Die Forderung der Thüringer PDS in ihrem letzten Landtagswahlprogramm nach Gleichstellung der öffentlichen und der freien Träger der Jugendhilfe ist ein signifikantes Beispiel dafür: Diese Forderung steht im Widerspruch zum Prinzip der Subsidiarität, wonach möglichst vorrangig freie Träger Aufgaben in der Gesellschaft übernehmen sollen und der Staat erst dann eingreift, wenn diese Aufgaben nicht anders bewältigt werden können. Ein entsprechendes Gesellschaftsverständnis liegt auch dem Kinder- und Jugendhilfegesetz zu Grunde. Doch die PDS akzeptiert dieses Gesellschaftsverständnis und das dahinter stehende Menschenbild offenbar nicht. Daran jedoch wird deutlich, dass sich die Partei offensichtlich nicht von ihren Prägungen aus der Vergangenheit gelöst hat. Ich möchte allerdings hinzufügen, dass es natürlich zwischen demokratischen Parteien immer wieder auch Diskussionen über die Kernaufgaben eines Staates etwa hinsichtlich der Absicherung der Rechtsordnung, bezüglich der Rahmenbedingungen für die Wirtschaft, hinsichtlich des sozialen Ausgleichs oder der Sicherung von Bildung und Ausbildung gibt

Frage: Als Vertreter der Bischöfe bei Landtag und Landesregierung in Thüringen haben Sie kirchliche Interessen zu vertreten. Welche Positionen bezieht die PDS hinsichtlich kirchlicher Anliegen?

Weinrich: Die parlamentarische Behandlung der Staatskirchenverträge in den neuen Bundesländern hat gezeigt, dass die PDS das partnerschaftliche Staat-Kirche-Verhältnis auflösen möchte und an die Stelle einer vertraglich geregelten Kooperation eine strikte Trennung von Staat und Kirche treten soll. Dies wird auch am Verfassungsentwurf sehr deutlich, den die PDS 1994 im Deutschen Bundestag erarbeitet hat. In diesem Entwurf werden die Aufhebung der staatskirchenrechtlichen Regelungen im Grundgesetz - etwa über die Zahlung von Finanzmitteln an die Kirche - , die Beseitigung des Kirchensteuersystems, die Aufhebung des schulischen Religionsunterrichts und die Abschaffung des kirchlichen Dienst- und Arbeitsrechts gefordert. Die öffentlich-rechtliche Stellung der Kirchen soll also aufgehoben und ihr Selbstbestimmungsrecht eingeschränkt werden

Frage: Also Positionen, wie sie in der DDR Praxis waren?

Weinrich: Die PDS bekämpft die Kirche nicht, sie würdigt immer wieder ihren karitativen Einsatz, stellt aber die verfassungsrechtliche Stellung der Kirchen in der Bundesrepublik in Frage. Das Festhalten an einer strikten Trennung von Staat und Kirche im eben beschriebenen Sinn erinnert schon an die DDR-Zeit. Es fehlt meines Erachtens nach wie vor die Einsicht, dass Kirche und Staat unter Beachtung ihrer jeweiligen Autonomie dem gleichen Menschen dienen und sich deshalb in Eigenständigkeit und freiheitlicher Kooperation begegnen. Im Übrigen lebt der freiheitliche Staat von Voraussetzungen, die er selbst nicht schaffen kann. Zu diesen Voraussetzungen gehören auch wertstiftende Kräfte in der Gesellschaft wie es die Kirchen und die Religionen sind

Frage: Wie Sie sagen, ist die PDS gegen den Religionsunterricht in der Schule. Welche Vorstellungen hat die Partei Ihrer Kenntnis nach hinsichtlich der Vermittlung von Werten und Normen in der Schule?

Weinrich: Bei einer Befragung von Thüringer Parteien durch den Katholikenrat des Bistums Erfurt vor der kürzlich stattgefundenen Landtagswahl antwortete die PDS auf die Frage nach der Wertevermittlung in der Schule: "Um Kenntnisse über ethische Normen und Werte sowie über die Relgion zu vermitteln, sollte ein für alle Schüler geeignetes Unterrichtsfach, etwa mit dem Namen Lebenskunde eingeführt werden." Ich halte einen solchen für alle verpflichtenden Unterricht für falsch, da er nur eine Information über die Religion zulässt. Schulischer Religionsunterricht, dessen Inhalte die Kirchen verantworten, ist besser gerüstet, religiöse Bildung zu vermitteln

Frage: Nicht wenige praktizierende Christen haben zu DDR-Zeiten Nachteile im Bildungsbereich und beim beruflichen Aufstieg aufgrund ihrer religiösen Überzeugung hinnehmen müssen. Ein grundsätzliches Schuldeingeständnis in dieser Hinsicht hat es aber bis zur Stunde nicht gegeben, oder?

Weinrich: Sicher haben einzelne PDS-Mitglieder hier und da in persönlichen Erklärungen die Schuld der SED angesprochen. Doch, und das ist für mich entscheidend, die Opfer des SED-Systems kommen in den offiziellen Stellungnahmen und in der Programmatik der PDS nicht vor. Die PDS gesteht nach wie vor den Unrechtscharakter des SED-Staates nicht ein. Insofern hat sich die PDS bislang auch nicht eindeutig von ihrer diktatorischen und totalitären Vergangenheit getrennt

Frage: Welche Konsequenzen für den Umgang mit der PDS ergeben sich aus dem Gesagten für Christen und kirchliche Einrichtungen und für die Gesellschaft insgesamt?

Weinrich: Eine sachliche Auseinandersetzung mit der PDS ist sicher notwendig. Polemik hilft nicht weiter. Aus den genannten Gründen halte ich aber eine institutionalisierte Zusammenarbeit mit der PDS für falsch. Natürlich muss man aber mit PDS-Mandatsträgern und Inhabern öffentlicher Ämter über Sachfragen im Gespräch bleiben. Die Gesellschaft als ganze, in Ost und West, sollte die Positionen der PDS aufmerksam verfolgen und sich mit ihnen inhaltlich auseinandersetzen. Zugleich sollten alle Kräfte in der Gesellschaft, denen das freiheitlich-demokratische Gemeinwesen am Herzen liegt, sehr genau hinschauen, welche Sorgen und Nöte die nicht zweifelsfrei demokratischen Parteien aufgreifen und für ihre Ziele ins-trumentalisieren

Interview: Eckhard Pohl

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 43 des 49. Jahrgangs (im Jahr 1999).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 31.10.1999

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