Lichtblick im Plattenbaugebiet
Einweihung
Wolfen (cbr) - "Auf dass Sie das Licht nicht unter den Scheffel stellen, sondern stets auf den Leuchter." Mit diesen Worten überreichte der evangelische Pfarrer Matthias Seifert seinem neuen katholischen Nachbarn, Pfarrer Markus Lorek, einen Satz viereckiger Kerzen. Markus Lorek hatte guten Grund, die Kerzen auf die Leuchter zu stellen: Am 23. Oktober weihte der Magdeburger Bischof Leo Nowak - nach langen Planungen, unzähligen Verhandlungen, Abstimmungen, Prüfungen und Überarbeitungen - das Gemeindezentrum Edith Stein in Wolfen-Nord ein, das von nun an der Brennpunkt für vier Gemeinden sein soll
"Es war höchste Zeit, dass hier ein neues Gemeindezentrum herkommt", sagt Walter Reiche, der einstige Pfarrer von Zörbig, der auch zur Einweihung gekommen war. "Um die umliegenden Gemeinden ist es trocken geworden. In Raguhn zum Beispiel gibt es noch ganze 30 Gemeindemitglieder. Mit dem Gemeindezentrum wird hoffentlich das gesamte Gemeindeleben wieder belebt." Verluste durch den gesellschaftlichen Umbruch und das Wegbrechen der Großindus-trien im Raum Bitterfeld zählen zu den Gründen, warum heute in Greppin, Jeßnitz, Raguhn und Wolfen nur noch wenige und vor allem ältere Menschen ihre Kirchen besuchen. "Die Idee, das Gemeindezentrum zu bauen war, die Gemeinden gemeinsam zukunftsfähig zu machen. Es ist eine Frage der Zeit, wie lange sie einzeln überhaupt noch existieren" meint Pater Fritz Biermann, der aktiv an dem Projekt mitarbeitete
Dass auch Wolfen-Nord in den letzten Jahren verstärkt von Wegzügen betroffen sein wird, konnte zu Beginn der Planungen noch niemand wissen. Der Gedanke, in dem Plattenbau-Wohngebiet ein Gemeindezentrum zu errichten, das der dort lebenden Bevölkerung als Anlauf- und Treffpunkt dienen soll, entstand schon in den 80er Jahren. Über acht Jahr dauerte es dann, bis der Plan Wirklichkeit wurde. Ein Weg mit vielen Schwierigkeiten: Verschiedene Eigentümer meldeten Rückgabeansprüche an, mehrfach fand ein Grundstückswechsel statt, immer wieder wurden neue Planungsentwürfe vorgelegt. Und dann kehrten viele Einwohner nach der Wende der Region und insbesondere Wolfen-Nord den Rücken. "Wenn die Verantwortlichen das damals vorausgesehen hätten", sagt Pater Biermann heute, "hätten sie vielleicht überlegt, ob sie das Gemeindezentrum hier bauen. Aber jetzt steht es, und wir sind froh darüber. Nun können die größeren Veranstaltungen der Gemeinden zentral stattfinden, und wir müssen nicht ständig Räume dafür suchen." Noch etwas anderes legitimiert für ihn das neue Zentrum: "Es ist das einzige Kunstwerk hier in Wolfen-Nord", sagt der Missionar lächelnd
Ein architektonisches Kunstwerk ist der Neubau unbestritten, und zudem multifunktional - auch wenn er kleiner ausfiel als ursprünglich geplant. Der helle moderne Gottesdienstraum kann durch Falttüren um zwei größere Gemeinschaftsräume erweitert und dann gut für größere Bildungsveranstaltungen oder gemeinsame Feiern genutzt werden. Ein Raum im Untergeschoss soll besonders von der Jugend genutzt werden. Platz ist also genug. "Wenn unser ganzes Reden von Pfarrverband, Zentrum der Gemeinden und ,Sich-begegnen-können' nicht leere Sprüche bleiben sollen, dann sind wir noch lange nicht fertig", schreibt Pfarrer Markus Lorek, der verantwortlich für den gesamten Pfarrverband ist, in der Festschrift. "Wenn wir nicht zulassen wollen, dass unsere Kirche nur ein Haus aus toten Steinen ist, sondern dass wir diese Kirche mit Leben füllen, dann geht' s jetzt richtig los."
In den Gemeinden werden die neuen Pfarrstrukturen nicht von allen freudestrahlend begrüßt. Viele ältere Leute sind in ihrer Heimatgemeinde seit Jahrzehnten verwurzelt, müssen sich erst mit neuen Gegebenheiten anfreunden. Freude und Erwartung gehen einher mit Skepsis -- auch bei jüngeren Gemeindemitgliedern. "Ich würde sagen, zu Ostzeiten wäre das Zentrum ideal gewesen", meint zum Beispiel Michael Reichert aus Jeßnitz. "Heutzutage ist meiner Meinung nach aber mit den Geldern nicht zeitgemäß umgegangen worden. Die alten Kirchen auf den Dörfern werden bald leerstehen - warum konnte man nicht eine von denen sanieren? Ich hätte es auch begrüßt, wenn man noch mehr für die Jugendlichen getan hätte, zum Beispiel eine Kegelbahn im Keller gebaut oder mehr in Möbel investiert hätte."
Cornelia Nagy, Mutter eines körperlich beeinträchtigten Sohnes hingegen freut sich über das neue Haus. "Hier bietet sich nun ein Ort, an dem ich Bekannte und Freunde treffen kann, die meine Situation kennen und mit denen ich gut reden kann."
Dass die bisher noch toten Steine des Gemeindezentrums lebendig werden, wenn sich auch die Kinder und Jugendlichen hier gern treffen, darüber sind sich vor allem junge Eltern einig. Die Pfarrerin der evangelischen Christusgemeinde Bobbau, Annegret Friedrich-Beerenbruch, wünschte sich in ihren Grußworten, dass "immer so viele Kinder im Haus sind wie heute."
Gleich am Tag nach der Einweihung war das Haus mit jungen Leuten gefüllt. Bischof Nowak spendete einigen Jugendlichen das Sakrament der Firmung
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 31.10.1999