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Bistum Görlitz

Gemeinwesenprojekt in Finsterwalde

Caritas

Finsterwalde - "So, geschafft. Die Fassade ist fertig. Endlich!" Erschöpft, aber zufrieden lässt Inge Eikmeier den Pinsel in den Farbeimer gleiten, streicht sich noch einmal über die Stirn, und freut sich auf Nudeln mit Tomatensoße, die die anderen in der Zwischenzeit gekocht haben. Sie kochen öfters zusammen, die zehn Frauen aus Schacksdorf bei Finsterwalde. Und nicht nur das. Sie unterhalten sich auch gern, gehen spazieren, verbringen einfach Zeit miteinander. Kennengelernt haben sie sich hier beim Gemeinwesenprojekt der Caritas und der Fachhochschule für Sozialwesen Finsterwalde

Am Mittagstisch erzählen die Frauen von den Bewohnertreffs und von "ihrem Haus", das sie aus der alten, heruntergekommenen Soldatenküche in ein buntes und gemütliches Gebäude verwandelt haben, und das nun endlich am 6. November, eingeweiht werden soll. Viel Energie steckt hier drin, und in jedem Teil dieses Hauses ein Stück Geschichte; auch persönliche. Vieles ist durch Eigeninitiative entstanden und zusammengetragen worden. "Wie oft sind wir im Winter mit dem Handwagen in die leerstehenden Kasernen gezogen, haben Kacheln herausgeklopft und sie für das Projekt saubergemacht, was?" erinnert sich Inge Eikmeier und lacht. Ein ganzes Jahr haben sie fast täglich rangeklotzt, haben sich mit Behörden rumgeschlagen, damit Fens-ter, Heizung und ein Bad eingebaut werden. Manchmal war die Luft fast raus. Aber die Arbeit hat auch Spaß gemacht, sind sich die Frauen einig. Man trifft sich, macht etwas zusammen, und vor allem hat man eine Aufgabe. Ja, und nun am Ende das Gefühl, etwas geschafft zu haben - aus eigener Kraft. Genau das ist es, was das Gemeinwesenprojekt der Caritas auch bezwecken will

Beate Leis vom Finsterwalder Verband beschreibt die Hintergründe ihrer Arbeit in Schacksdorf: "Die Soldatenküche war einst ein zentraler Teil des Armeeflugplatzes der sowjetischen Streitkräfte, die hier bis Anfang der neunziger Jahre stationiert waren. Nachdem die Armee dann abgezogen war, standen die Kasernen leer; und auch die anliegende Wohnsiedlung, in der die Soldaten gewohnt haben." Für manche Finsterwalder waren die Neubauwohnungen mit Zentralheizung, Bad und Innen-WC damals attraktiv, und einige zogen dorthin. Die Stadt versprach zu diesem Zeitpunkt, Straßen zu bauen, Einkaufsmöglichkeiten zu schaffen. Bei dem Versprechen blieb es - bis heute. Außer einem kleinen Kiosk gibt keinen Laden. Auch keine Gaststätten, kein Kino, keine ordentlichen Anfahrtsmöglichkeiten bis zum Ort. Bis zur Stadt sind es fünf Kilometer, eine Fahrt mit dem Bus hin und zurück kostet vier Mark. Viele Schacksdorfer zogen und ziehen - enttäuscht - wieder in das Stadtzentrum oder in die umliegenden Gebiete, die inzwischen attraktiver geworden sind

"Für die Stadt ist die Siedlung am Armeeflugplatz eindeutig ein Auslaufmodell", sagt Beate Leis. Sie sieht die Folgen, die die Vernachlässigung des Gebietes hinterlässt mit besorgtem Blick: "Viele sozial schwächere Menschen wohnen jetzt hier, viele Arbeitslose. Menschen, die depressiv geworden sind, denen oft das Selbstbewusstsein fehlt. Manch einer kommt den ganzen Tag nicht aus seiner Wohnung heraus - viele sind vereinsamt." Die Leute, die jetzt in Schacksdorf lebten, wohnten hier, weil die Miete in der Stadt zu teuer ist oder sie dort keine Wohnung bekommen haben. Manche blieben aber auch hier, weil die Umgebung, genauer der anliegende Wald, so wunderschön sei. Die Sozialarbeiterin ergänzt zwinkernd: "Und inzwischen gibt es ja die Bewohnertreffs."

Von denen erzählen die Frauen gern. Sie treffen sich mehrmals in der Woche, zur Sozialberatung, zum gemeinsamen "Gesunden Kochen", zum Nähkurs, zum Rommé-Turnier oder zum Aerobic. Silvia Hundt zum Beispiel ist fast jeden Tag hier. "Auf mich wartet zu Hause keiner. Die Kinder leben in einer anderen Stadt. Hier treffe ich immer jemanden, mit dem ich plaudern kann." Grit Knauder und Andy Brandt kommen meist am Donnerstagmorgen zum Bewohnerfrühstück, "weil es da immer frische, leckere Brötchen gibt." Auch die Kinder der Bewohner treffen sich hier - zum offenen Kindernachmittag. Zusammen mit ihnen soll demnächst ein Abenteuerspielplatz gebaut werden. "Wir sind schon immer fleißig auf der Suche nach irgendwelchen alten Gummischläuchen und Weidenruten", meint Silvia Saunus, eine zweite Sozialarbeiterin und schmunzelt. Auf den neuen Platz zum Toben freuen sich die Kinder schon

Die Aussiedlerfamilien, die zum größten Teil aus Kasachstan und Sibirien kommen und rund ein Drittel der Einwohnerschaft von Schacksdorf ausmachen, werden mit in das Gemeinwesenprojekt einbezogen: Sie treffen sich wöchentlich zum Singen oder Beten im Haus. "Wenn auch noch viele Vorurteile zwischen deutschen Bewohnern und Aussiedlern bestehen: Wir freuen uns über jeden kleinen Erfolg." Und die sieht Silvia Saunus bereits. Die Mädchen haben zum Beispiel eine multikulturelle Tanzgruppe gegründet. Getanzt wird nach der Musik der Backstreet-Boys und nicht so traditionell, wie es sich die Eltern wünschen. Die Mädchen haben auf ihre Weise einen Zugang zueinander gefunden. Während der großen Einweihungsfeier wird ihr erster Auftritt sein - und diesmal tanzen sie doch einen ganz traditionellen russischen Tanz

Ob das Projekt eine Zukunft hat, steht bisher noch nicht fest. Befristet ist es vorerst bis Ende des Jahres. Claudia Breitkopf

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 44 des 49. Jahrgangs (im Jahr 1999).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 07.11.1999

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