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Aus der Region

Im Studium wirklich willkommen?

Ausländische Studierende

Leipzig - Nubia Morales (27) hat Glück gehabt. Mehrfach sogar. Die junge Frau aus Kolumbien erhielt die Zulassung für ein Studium in Deutschland, obendrein ein Stipendium des Katholischen Akademischen Ausländer-Dienstes (KAAD). Und: Sie traf in Leipzig auf Menschen, die sie bei den ersten Schritten im fremden Land begleiteten. Jetzt widmet sie sich in einem Postgradualestudium ganz ihrem Fach, der Toxikologie

"Deutsche Chemie und Toxikologie sind international anerkannt", begründet die junge Frau die Wahl ihres Studienortes. Sie verspricht sich, durch ihre Arbeit die Kooperation zwischen Deutschland und Kolumbien auf dem Gebiet der Toxikologie zu forcieren. Internationalität, Wissenschaftskooperation - das sind Schlagworte, die sich die deutsche Kultur- und Entwicklungspolitik für eine Internationalisierung der Hochschulen auf die Fahnen geschrieben hat. Ein hehres Anliegen, doch die Realität ist anders: Besonders für Studierende aus Entwicklungsländern ist Deutschland ein wenig attraktiver Studienstandort. Von den rund 65 000 Studierenden aus Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropa sind laut einer Studie des Deutschen Studentenwerkes 42 Prozent auf eine Erwerbstätigkeit angewiesen, um ihr Studium und das Leben in Deutschland zu finanzieren. Ein Drahtseilakt am Rande der Illegalität. Denn die ausländer- und arbeitsrechtlichen Bestimmungen treiben die Studenten nicht selten in unauflösbare Konflikte

"90 Tage im Jahr dürfen ausländische Studierende arbeiten. Selbst wenn sie nur drei bis vier Stunden am Tag jobben, gilt das als ein Arbeitstag", erläutert Jesuitenpater Andreas Reichwein, Pfarrer der Katholischen Studentengemeinde Leipzig. Hinzu komme, dass die Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltsgenehmigung oft einer Lotterie gleiche. "Ob ein Student da Glück hat, hängt vom jeweiligen Beamten der städtischen Ausländerbehörde ab", so Reichwein. Nicht nur er befürchtet, dass Deutschland künftig nur noch wenigen Privilegierten für ein Auslandsstudium offen steht

Die Evangelische Akademie zu Berlin hat deshalb vor kurzem der Situation ausländischer Studierender aus Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropa in den neuen Bundesländern im Rahmen einer groß angelegten Konferenz mit Betroffenen und hochrangigen Vertretern aus Kirche und Politik analysiert. Titel: Willkommen zum Studium?! Als Veranstalter mit im Boot: das Referat kirchlicher Entwicklungsdienst (KED); das Studienbegleitprogramm der Evangelischen Studentengemeinden in der Bundesrepublik Deutschland, Köln; das Stipendienreferat des Diakonischen Werkes, Stuttgart und der Katholische Akademische Ausländer-Dienst (KAAD), Bonn. Mit der Situation in den neuen Bundesländern habe man sich auseinandergesetzt, da die rund 15 000 ausländischen Studierenden aus südlichen Ländern und Osteuropa dort in besonderer Weise von Problemen betroffen seien

"Sie sind mit den Einschränkungen am Jobmarkt, einem stärker werdenden Rassismus, Problemen bei der Anerkennung der Studienabschlüsse und der Planung des späteren beruflichen Einstiegs in ihre Heimatregion konfrontiert", heißt es in einer Erklärung der Konferenz-Veranstalter. Außerdem seien im Osten die Beratungsstrukturen noch ungenügend entwickelt, wodurch den Studierenden wichtige Orientierungshilfen fehlten. Als eine der wenigen Ausnahmen gilt die Universität Leipzig. Dort ziehen schon jetzt verschiedene Institutionen an einem Strang, um die Situation der 750 ausländischen Studierenden aus den genannten Erdteilen zu verbessern. Insgesamt sind in Leipzig 21 500 Studenten eingeschrieben, davon rund 1505 Ausländer. Akademisches Auslandsamt, ein eigenes Referat für Ausländer im StudentInnenrat der Universität, der Ausländerbeauftragte der Hochschule, der Verein "Hilfe für ausländische Studierende in Leipzig" und die katholische und evangelische Studentengemeinde kümmern sich um die Belange der Studenten. Auch wenn die Zusammenarbeit noch nicht in jedem Fall optimal verlaufe, gelte Leipzig als Modellfall für andere Hochschulstandorte im Osten, erläuterte Pater Reichwein. "Natürlich hängt das Zusammenspiel auch immer von Personen ab. Sabine Klimmek vom Akademischen Auslandsamt zum Beispiel ist eine sehr engagierte Frau, eine Art Mutter der Kompanie, die die Fäden zusammenhält", berichtet Reichwein. Die kolumbianische Studentin Nubia Morales aus Leipzig bestätigt das. In Fragen der Studienberatung, Zulassung und Betreuung von Promoventen ist Frau Klimmek eine hilfreiche Ansprechpartnerin. "Die Erfahrung aus unserer Arbeit lehrt uns aber, dass die finanziellen Mittel sehr knapp sind und die Hilfeleistung zumeist in einem Arrangement von Notlösungen besteht", sagt Reichwein. Abgesehen von den Schwierigkeiten stellen seiner Meinung nach die Studentengemeinden einen wichtigen Ort sozialer Integration für ausländische Studierende dar, die in der Regel zwanglos gelinge. "Ausländer haben das Problem der doppelten Entfremdung. Für sie ist es einerseits schwer, in Deutschland Kontakte zu knüpfen und andererseits sind sie fremd, wenn sie nach dem Studium in ihre Heimat zurückkehren. Da-rauf müssen sie in Deutschland vorbereitet werden", sagt Reichwein. Zur Rolle der Kirche heißt es dazu in der offiziellen Abschluss-Erklärung der Berliner Konferenz: "In der Präsenz ausländischer Studierender und Wissenschaftler in Deutschland sehen die Kirchen große Chancen auch für die Stärkung der Zivilgesellschaft in den neuen Bundesländern. Insbesondere die evangelischen und katholischen Studierendengemeinden sind Keimzellen und Lerngemeinschaften internationaler Solidarität, die die allseits politisch gewünschte Internationalisierung der deutschen Hochschulen durch einen interkulturellen und interreligiösen Dialog vertiefen." Aus seiner Erfahrung heraus hält es Pfarrer Reichwein für fraglich, inwieweit ausländische Studierende aufgrund der Rahmenbedingungen in Deutschland tatsächlich "willkommen zum Studium" sind. Er zielt vor allem auf die Situation der Studenten aus den Ländern des Südens und Osteuropa ab. Studierende aus nordamerikanischen und westeuropäischen Ländern sind in der Regel über strukturierte Austauschprogramme finanziell abgesichert. Der Hintergrund dafür ist einfach: "Diese Studenten kommen aus sogenannten Wunschpartnerländern der Wissenschaftskooperation", sagt Reichwein. Einziger Weg, Studenten aus Entwicklungsländern für Deutschland interessant zu machen, sei ein Umdenken in Politik und Wirtschaft. Der sächsische Wissenschaftsminister Hans-Joachim Meyer, ebenfalls Teilnehmer der Konferenz, formulierte, dass es künftig zum deutschen Eigeninteresse gehören muss, mit Blick auf Absatzmärkte auch verstärkt Kontakte zu Entwicklungsländern zu knüpfen. Zudem gehöre zu einem Hochschulstandort mit internationalem Renommee dieser Austausch dazu

Eine Verbesserung der Situation sehen die Konferenzteilnehmer unter anderem in einer flexibleren Gestaltung der Arbeitsrechtsbestimmungen. "Doch bis die Betroffenen von Veränderungen profitieren können, ist noch sehr viel Arbeit, vor allem Lobbyarbeit, notwendig", ist Studentenpfarrer Reichwein überzeugt. "Es gibt noch viel zu tun", meint auch die kolumbianische Studentin. Nubia Morales denkt daran, was nach ihrem Graduiertenstudium kommt. Die Ergebnisse ihrer Promotionsarbeit könnten in Kolumbien genutzt werden, aber auch einen Dozenten-Austausch zwischen Kolumbien und Deutschland hält sie für vielversprechend. Nur, solche Formen der Entwicklungszusammenarbeit müssen politisch gewollt sein. Markus Tichy

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 45 des 49. Jahrgangs (im Jahr 1999).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 14.11.1999

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