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Aus der Region

"Unterlassungssünden" eingeräumt

Kirche und Mauerfall

Berlin (rc / tdh) - Drei Tage vor dem zehnten Jahrestag des Mauerfalls stellte sich die Katholische Akademie in Berlin der Frage nach den Ursachen dieses his-torischen Ereignisses: "Welche Posaunen brachten die Mauer zum Einsturz?", hieß die Tagung, bei der es auch um die Rolle von Kirche und Vatikan in diesem Zusammenhang ging

Hierfür suchte der Apostolische Nuntius in Ungarn, Erzbischof Karl-Josef Rauber, nach Antworten: Die sozialistische Ideologie sei letztlich an ihrer "geistigen Leere" zugrunde gegangen. Als weitere Ursachen für den Zusammenbruch des sozialistischen Systems in Mittel- und Osteuropa habe Johannes Paul II. die Vernachlässigung der Rechte der Arbeiter und das untaugliche Wirtschaftssystem bezeichnet. Außerdem habe das konsequente Eintreten des Papstes für die Menschenrechte eine wichtige Rolle gespielt, betonte der Nuntius. Polens General Wojciech Jaruzelski habe den Papst sogar als "Auslöser der Wende" bezeichnet. Auch Kontakten zwischen dem sowjetischen Parteichef Michail Gorbatschow und dem Papst hätten eine Rolle gespielt: "Wir haben zusammengearbeitet", zitierte Rauber Gorbatschow

Die erfolgreiche Wahrung der kirchlichen Eigenständigkeit hob der Münchner Professor für christliche Weltanschauung, Hans Maier hervor. Sie sei Voraussetzung für die hervorragende Rolle beider Kirchen in der Umbruchzeit gewesen. Aber nicht nur als geachtete Moderatoren an Runden Tischen waren Vertreter der Kirchen gefragt. Nach dem tiefen Einschnitt der Wende galt es, die jüngste Vergangenheit zu bewältigen, wozu Rechtsmittel nicht ausreichten. Einsicht, Umkehr und Reue waren gefragt, bei denen der Kirche eine natürliche zentrale Vermittlerrolle zufiel

Aus seiner persönlichen Sicht berichtete der Berliner Erzbischof über die Jahre 1989 / 90. Als Generalvikar in Erfurt war Georg Sterzinsky für die Kontakte mit dem Staat beauftragt worden. Nachdem die SED immer den Untergang prophezeit hatte, hieß es plötzlich: "Kirchen und Religion werden in der DDR überleben". Die Kirche werde sogar, wenn auch verkleinert, "ein ganz wichtiger politischer Faktor im sozialistischen Lager" werden. Solche Zeichen der Zeit seien damals von der Kirche nicht richtig gewertet worden

Sterzinsky räumte auch "Unterlassungssünden" der katholischen Kirche in der Umbruchzeit 1989/90 ein. Die Kirche habe über die DDR-Jahre hinweg den Grundsatz der politischen Abstinenz "verinnerlicht" und sei deshalb "sehr zurückhaltend" gewesen. So habe sie gegen den Wahlbetrug 1989 nicht öffentlich protestiert, obwohl zahlreiche Katholiken sie dazu aufgefordert hätten. "Fehleinschätzungen" kurz vor und nach dem Fall der Mauer habe es gegeben, weil "es noch niemals einen solchen Fall in der Geschichte gab", erklärte Sterzinsky. Nachdrücklich wies er darauf hin, dass heute von Personen die Zurückhaltung der katholischen Kirche im Herbst 1989 kritisiert werde, die vor der politischen Wende zur Mitarbeit der Christen in der DDR aufgefordert hätten

Der Magdeburger Bischof Leo Nowak rief dazu auf, sich das "Wunder der deutschen Einheit" von niemandem ausreden zu lassen. Die Einheit habe viel Gutes gebracht. Es sei aber zu bemerken, dass heute "der Mensch zu kurz kommt", fügte er hinzu. Das totalitäre Regime habe bei den Menschen im Osten "tiefe Kratzspuren" hinterlassen. Zehn Jahre später gebe es Unkenntnis oder gar Ablehnung des Neuen und große Unsicherheit. Hinzu komme die Säkularisierung der Gesellschaft. In dieser Situation "muss die Kirche sagen, was wesentlich ist und was zeitgebunden. Wesentliche Werte dürfen nicht zu Schnäppchenpreisen aufgegeben werden", betonte Nowak. Kirchen und Gemeinden sollten sich das Ziel setzen, die "sympathischen nichtchristlichen Zeitgenossen" zu erreichen und ihnen den Glauben nahe zu bringen, forderte der Magdeburger Bischof weiter. Dies erfordere eine Aktivierung des eigenen Glaubens. Die "Wende wird vollendet", wenn der Mensch in der neuen Gesellschaft Orientierung und Sicherheit findet

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 46 des 49. Jahrgangs (im Jahr 1999).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 21.11.1999

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