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Aus der Region

"Wir erinnern..." und das Verhältnis von Juden und Christen

Vatikan-Dokument

Erfurt (ep) - Positive Aspekte, aber auch verpasste Chancen des Vatikan-Dokuments "Wir erinnern: Eine Reflexion über die Shoah" vom März 1998 waren Thema eines Diskussionsabends am 11. November. Dazu hatte zwei Tage nach dem Gedenktag an die Reichspogromnacht am 9. November 1938 das Katholische Forum in Thüringen in die Erfurter Begegnungsstätte Kleine Synagoge eingeladen. Zu der Veranstaltung über das Verhältnis zwischen Katholischer Kirche und Juden angesichts der Shoah (Vernichtung - d. Red.) waren der Berater der deutschen Bischöfe zu Fragen des Judentums, Hans Hermann Henrix, aus Aachen, und der Landesrabbiner des Freistaates Sachsen, Salomon Almekias-Siegl, aus Leipzig gekommen

Das über Jahre hin erwartete Dokument des Vatikans hat ein "gespaltenes Echo" gefunden. Das machte Hans Hermann Henrix deutlich. Henrix, der im Auftrag Roms maßgeblich an der Erarbeitung eines Entwurfs für das Papier beteiligt war, begrüßt zwar dessen Erscheinen als einen "Zwischenschritt" zur Aufarbeitung des über 2000 Jahre hinweg belasteten Verhältnisses zwischen Kirche und Judentum. In diesem Sinne versteht Henrix das Dokument auch als Mahnung an die Generationen, sich immer wieder der Geschehnisse zu erinnern. Der Experte für Fragen des Judentums zeigte sich aber enttäuscht über die verpassten Chancen hin zu wirklicher Versöhnung. Von dem von ihm und der Arbeitsgruppe "Fragen des Judentums" der Deutschen Bischofskonferenz erstellten und 1995 (1996 in englischer Fassung) übergebenen 37-seitigen Vorschlag finden sich viele Kernaussagen nicht in dem Dokument wieder. So ist beispielsweise im Vatikan-Papier davon die Rede, dass sich die Kirche "der Schuld ihrer Söhne und Töchter" annimmt, die "der Welt statt eines an den Werten des Glaubens inspirierten Lebenszeugnisses den Anblick von Denk- und Handlungsweisen boten, die geradezu Formen eines Gegenzeugnisses und Skandals darstellten". In dem von der bischöflichen Arbeitsgruppe erstellten Entwurf war dagegen von der "Kirche" die Rede, die "Mitverantwortung für die Shoah trägt und Schuld auf sich geladen hat"

Mit der Veröffentlichung des Dokuments habe Rom durchaus anerkannt, dass die Kirche als ganze und nicht nur eine Teilkirche von den Fragen der Shoah betroffen ist, so Henrix. Die Rede des Vatikan-Dokuments von der Schuld der "Söhne und Töchter" sei jedoch angesichts der judenfeindlichen Äußerungen der Gesamtkirche, so etwa bei den Konzilien im Lateran 1215, in Basel 1434 und in Florenz 1442 nicht akzeptabel. Diese judenfeindliche Haltung reiche bis in dieses Jahrhunderts hinein. So habe es in den italienischen Klöstern, in denen während der Nazi-Zeit Juden versteckt wurden, seitens von Eiferern Zwangsttaufen an jüdischen Kindern gebeben. "Unzureichend", so Henrix, der auch Leiter der Bischöflichen Akademie des Bistums Aachen ist, "sind auch die Aussagen des vatikanischen Textes zum Verhalten kirchlicher Persönlichkeiten in der Zeit des Nationalsozialismus". Dies gelte besonders für die Kardinäle Faulhaber und Bertram und für Papst Pius XII

Der sächsische Landesrabbiner Almekias-Siegl beklagte, das Vatikan-Papier verwende zwar das hebräische Wort für Umkehr " teshuva", biete aber keine konkreten Schritte. Die Bereitschaft, ein Dokument zu verfassen, sei zwar "ein gutes Zeichen". Es fehle jedoch "ein Programm, wie Umkehr, wie Reue wirklich zu erreichen" sei. Ähnlich unverbindlich gehe es zu, so Almekias-Siegl, wenn Schulklassen zu Führungen in die Synagoge kämen: Jedes Jahr meldeten sich zwar etliche Klassen, doch Schüler und Lehrer würden sich nicht darauf vorbereiten und wenigsten die wichtigsten Gegenstände einer Synagoge schon kennen. Es gebe offensichtlich kein ernstes Bemühen, sich mit jüdischer Tradition zu beschäftigen. Zudem beklagte der Rabbiner eine mangelnde historische und theologische Aufarbeitung des Verhältnisses zwischen Juden und Christen. Dies sei auch erst wirklich möglich, wenn der Vatikan alle seine Archive öffne, so der Rabbiner. Dem stimmte Hans Hermann Henrix zu

Henrix hatte zuvor daran erinnert, dass die christlich-jüdischen Beziehungen auch in den letzten Jahren immer wieder belastet wurden. So sei die Seligsprechung von Edith Stein 1987 jüdischerseits als Affront betrachtet worden, da aus ihrer Sicht eine Jüdin zur katholischen Heiligen gemacht wurde, die aber für ihre jüdische Abstammung gestorben sei. Und auch ein Empfang des österreichischen Bundespräsidenten Kurt Waldheim durch den Papst 1987 stieß auf die Kritik jüdischer Organisationen. Waldheim war wegen seiner militärischen Tätigkeit im Zweiten Weltkrieg in der Staatenwelt äußerst umstritten

Trotz der verpassten Chancen des Vatikan-Dokumentes würdigte Henrix die Amtszeit Johannes Paul II. als "großes Pontifikat" für die Verständigung zwischen der Katholischen Kirche und dem Judentum. Henrix hofft, dass eine Erklärung des Papstes anlässlich des Jahrs 2000 umfassender und weitherziger ausfallen wird als das Dokument "Wir erinnern..."

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 46 des 49. Jahrgangs (im Jahr 1999).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 21.11.1999

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