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Apokalypse ist nicht nur Weltuntergangsszenario

Offenbahrung des Johannes (1)

Viele Menschen haben Schwierigkeiten mit dem Buch der Offenbarung im Neuen Testament. Der Erfurter Neutestamentler Claus-Peter März schreibt für den Tag des Herrn sechs Beiträge, die zum Verständnis dieses Buches beitragen wollen. Claus-Peter März ist sich sicher: Die Offenbarung des Johannes - recht gelesen - will uns nicht auf Weltuntergangsszenarien, wie von manchem zur Jahrtausendwende heraufbeschworen, festlegen und keine Termine des Weltendes mitteilen, sondern uns zu Entscheidungen in der Gegenwart ermutigen und motivieren

Vielen Bibellesern bereitet das letzte Buch des Neuen Testaments große Probleme. Die "Offenbarung des Johannes" oder - so der griechische Name - die "Apokalypse" bringt ihnen keinen Trost, sondern weckt eher verborgene Ängste. Sie fragen sich: Was bedeuten die Bilder des Gerichts, die Visionen der zerfallenden Welt, die Ankündigungen der Vernichtung aller widergöttlichen Mächte? Sind es die Weltgesichte einer vergangenen Kultur? Sind es Traumbilder unserer geheimen Ängste? Oder sind es vielleicht doch verschlüsselte Botschaften des Kommenden, geheimnisvolle Ankündigungen des baldigen Zerfalls dieser Welt?

Es ist verständlich, dass dieses letzte Buch der Bibel gerade in Krisenzeiten und in Perioden tiefgreifender geschichtlicher Umbrüche die Menschen bewegt hat. Von der Apokalypse des Johannes her deuteten sie die Verwerfungen ihrer Zeit als Anzeichen des baldigen Endes. Besonders schwärmerische Gruppen und Sektierer haben die Gerichtsansagen des Buches mit einer dunklen Faszination aufgenommen. In zugespitzter Auslegungen des Textes wurden in der Tat Ängste geschürt. Das Bild des liebenden Gottes, der in seinem Sohn selbst dem Sünder nachgeht, wurde verdeckt und der strafende und richtende Gott als Leitbild christlicher Erwartung ausgegeben. Auch heute wird mit Blick auf das Jahr 2000 in manchen Kreisen die Offenbarung des Johannes dazu benutzt, um ohnehin schon bestehende Zukunftsängste noch zu schüren. Mit dem Anspruch, den Bibeltext Wort für Wort ernst zu nehmen, wird dabei von der Apokalypse her die Frohbotschaft des Evangeliums nicht selten in eine "Drohbotschaft kleingläubiger Fanatiker und selbstgerechter Sektierer" (O. Knoch) umgeschrieben

Doch wird solche Auslegung der Offenbarung des Johannes wirklich gerecht? Nehmen wir ihre Botschaft angemessen auf, wenn wir die Gerichtsvisionen als Schlüssel des Verständnisses wählen und unsere neuzeitlichen Zukunftsängste in dieses Buch des ersten Jahrhunderts eintragen? Sicher nicht! Es ist, als würden wir eine wichtige Stimme des Neuen Testaments gar nicht zu Wort kommen lassen, sondern sie, kaum dass sie angehoben hat zu reden, mit unseren Ängsten umstellen und überdecken

Um es in einem Bild zu sagen: Es ist, wie wenn ich zu einem Gespräch zweier mir fremder Menschen hinzutrete, mich sogleich in das Gespräch einmische und die ausgesprochenen Meinungen aus meinem Blickwinkel kommentiere. Jeder weiß, dass ich mich in einen fremden Dialog "einhören" muss. Ich muss zunächst einmal zur Kenntnis nehmen, welche Bezugspunkte in diesem Austausch eine Rolle spielen, von welchen Sorgen das Gespräch bewegt ist - kurzum: Ich werde den Hintergrund der Ausführungen beider Gesprächspartner aufnehmen müssen, weil ich ihnen sonst nicht gerecht werden kann

Die Offenbarung des Johannes ist in gewisser Weise ein solches, für uns Christen des 20. Jahrhunderts "fremdes" Gespräch. Sie haftet an einer bestimmten kirchlichen Situation am Ende des ers-ten Jahrhunderts. Näherhin präsentiert sich das Schreiben als Brief an damalige Gemeinden und wird wie ein antiker Brief mit der Nennung des Verfassers, der Adressaten und eines Segenswunsches eröffnet: "Johannes: Sn die sieben Gemeinden in (der Provinz) Asia. Gnade euch und Friede von dem, der ist und der war und der kommt, und den sieben Geistern, die vor seinem Thron sind, und von Jesus dem Messias ..." (Offb1,4) Im weiteren Briefeingang finden sich sieben konkrete Anschreiben, in denen jede der genannten sieben Gemeinden auf ihre Probleme angesprochen wird (Offb 2,1-3,22). Es handelt sich also in der Tat um ein "Gespräch", das ein urchristlicher Prophet namens Johannes mit sieben wichtigen Gemeinden in Kleinasien führt: mit Ephesus, Smyrna, Pergamon, Thyatira, Sardes, Philadelphia und Laodizäa. Er hat sie alle besucht, ihnen seine Sicht der Geschichte vorgetragen und dabei in den Gemeinden Akzeptanz, aber auch Ablehnung erfahren. Nun legt er noch einmal in einem großen prophetischen Brief gesammelt vor, was ihn bewegt, und wirbt mit Nachdruck für eine Neuorientierung der christlichen Gemeinden

Die Offenbarung des Johannes verweist somit auf einen Dialog, von dem wir nicht unmittelbar betroffen sind. Wir werden uns deshalb auch nicht sogleich - kaum dass sich das Buch mit seiner Botschaft zu Wort gemeldet hat - in dieses Gespräch einmischen können, sondern uns zunächst einmal in die damalige Situation "einhören" müssen. Dies wird dadurch erschwert, dass sich der Verfasser einer speziellen Bildersprache bedient, die uns heute fremd ist. Auch hier werden wir uns nicht sogleich an jedem einzelnen Wort festmachen und geheimnisvolle Hintergründe eintragen dürfen, sondern die Zusammenhänge und vor allem die Intention dieser Art zu reden aufnehmen müssen

Claus-Peter März

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 46 des 49. Jahrgangs (im Jahr 1999).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 21.11.1999

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