Balthasar
Adventskalender-Bastelaktion (1)
Balthasar war ein angesehener Mann in seinem Kral. Wenn sich Familien um ein Kalb stritten oder wenn es anderen Zwist gab, wurde er als Richter angerufen. Geachtet wurde er auch wegen seiner Gabe aus den Sternen wichtige Ereignisse vorauszusagen. Als er eines Abends den Himmel vor seiner Hütte betrachtete, entdeckte er einen strahlend hellen Stern mit langem Schweif. Irgendwie hatte er das Gefühl, es würde sich um einen besonderen Stern handeln, doch als ihn seine Frau rief, wandten sich seine Gedanken von diesem Stern ab. Am nächs-ten Abend stand Balthasar wieder vor der Hütte und diesmal schien der Stern noch heller zu strahlen. Den ganzen Tag dachte er darüber nach, welche Bedeutung dieser Stern wohl habe. Als er am dritten Abend den Stern sah, wusste er, dass er ihm folgen musste. Am nächsten Morgen packte er seine Sachen und verabschiedete sich von seiner Frau und den Kindern. Im Dorf glaubte man, Balthasar wäre verrückt geworden, und alle hatten Mitleid mit seiner Familie. Balthasar nahm sein Bündel und zog los. Wenn er abends unter einem Baum saß und in den Himmel schaute, konnte er diesen seltsamen Stern, der sein gesamtes Leben veränderte, deutlich über sich sehen. Der Stern führte ihn immer weiter nach Norden. Er zog durch viele Länder und immer waren die Leute freundlich zu ihm. Suchte er eine Herberge, wurde er aufgenommen. Hatte er Hunger, wurde er zu einem Mahl eingeladen. Manchmal hielt er Zwiesprache mit seinem Stern und erzählte ihm alles, was er am Tag erlebt hatte. Schließlich kam er nach Palästina. Auf einem Basar, unweit von Jerusalem, kaufte er sich Fladenbrot und Wein. In einer Nische setzte er sich hin, nahm einen Schluck Wein und brach sein Brot. Als er hinein biss, hörte er eine Stimme. Im Dämmerlicht der Nische konnte er einen alten, zerlumpten Bettler erkennen, der ihn um etwas Brot bat. Balthasar ließ sich neben dem Alten nieder und gab ihm von seinem Brot und dem Wein. Zufrieden lächelte ihn der Bettler an und jetzt konnte er erkennen, das der Mann blind war. "Du hast sicher eine weite Reise hinter dir." sagte der Alte, "mir scheint, du kommst aus einem fernen Land. Doch lass dich von deinem Stern bis ans Ziel führen, Balthasar, es ist nicht mehr weit." Balthasar überlegte, woher dieser Alte seinen Namen kannte und wie er von seinem Stern wissen konnte, wo er doch blind war. Als er sich wieder an den Bettler wenden wollte, war er verschwunden. In dieser Nacht leuchtete der Stern heller und klarer als in allen Nächten zuvor und es schien, als ob er über einem Ort am Horizont angehalten hätte. Balthasar konnte diese Nacht nicht schlafen, er zog seinen Umhang fester um die Schultern und ging auf die Straße. Erst langsam, dann immer schneller wanderte er auf dem schlammigen Weg in die Richtung, an der der Stern zu stehen schien. Morgens erreichte er Bethlehem. Der Schlamm des Weges hatte seinen Mantel unansehnlich gemacht. Er suchte eine Herberge, um sich zu waschen und auszuruhen. Im ersten Gasthaus wurde er abgewiesen, da er wie ein Bettler aussah, auch im zweiten hatte er nicht mehr Glück. Erst als er in einer alten Herberge vor der Stadt anklopfte, wurde er eingelassen. Im Gastraum, der durch ein Feuer erleuchtet war, saßen zwei Männer, die wie er auf Wanderschaft zu sein schienen. Balthasar setzte sich zu ihnen und er glaubte seinen Ohren nicht trauen zu können. Sie erzählten ihm, sie wären von einem Stern bis an diesen Ort geführt worden. rvr
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 28.11.1999