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Der Grabende

Die Konsolen in St. Sebastian (3)

Das Bild erschließt sich nicht auf den ersten Blick: Ich bin verwundert, erstaunt und natürlich auch neugierig. Was hat der Mensch für einen großen Kopf? Und erst die Augen? Wohin schauen sie? Ist da irgendwo ein fester Punkt? Die Augen scheinen gleichzeitig zu hören und zu sehen. Da muss eine Botschaft in der Luft liegen, bei deren Hören einem sogar der Mund offen bleibt

Mir fallen auch die Hände des Menschen auf. Sie sind überdimensional groß. Was halten die Hände? Es sieht aus wie ein Stock, an dessen unterem Ende die linke Hand sich zu einem Spaten geformt hat. Will der Mensch nach etwas suchen? Ist er auf etwas gestoßen? Vielleicht ist an dieser Stelle ein Schatz vergraben? Und hängt sein Suchen und Graben mit der Botschaft zusammen, die er vernimmt?

Ich habe den Eindruck, dass in diesem Augenblick noch nicht klar ist, ob denn etwas geschieht oder etwas geschehen soll. Ob er wohl anfängt? Ist er noch unschlüssig? Wird er sich schlüssig werden . .

Eigenartig an dieser Figur ist das blaue Gewand, das der Mensch trägt. Auffällig sind auch der goldene Gürtel und die vergoldeten Schuhe. Wenn die Maler blau verwenden, deutet das oft auf etwas Geheimnisvolles hin, auf etwas, was nicht von dieser Erde ist, was mehr ist als alle Schätze der Welt. Wer den Schatz gefunden hat, der hat sich einen goldenen Gürtel und goldene Schuhe verdient. Die Farben gold, grün und rot über ihm nehmen meinen Blick gefangen. Diese Farben deuten auf etwas Göttliches hin. Aber das alles scheint er noch nicht begriffen zu haben. Soll er anfangen? Hoffentlich fängt er an! Es gibt Worte, die sind wie eine Verheißung. Hoffentlich fängt er an, der Botschaft zu trauen. Wie viele Botschaften dringen auf uns ein? So viele Nachrichten höre ich, so viele Nachrichten, denen ich von vornherein nicht traue. Welcher Botschaft darf ich trauen? In unseren Tagen gibt es mehr Botschaften die Angst machen, als dass sie Hoffnung und Zuversicht geben. Ich kann es gut verstehen, wenn darum Menschen eher zögerlich und unschlüssig sind, vielleicht sogar misstrauisch, - auch sogar gegenüber guten Worten

An der Stelle in der Kathedrale St. Sebastian in Magdeburg, wo der Mensch steht und vielleicht gräbt, kann er vieles hören und sehen, er kann lauschen und schauen und das schon viele Jahrhunderte

Mir fällt das Gleichnis ein, das Jesus seinen Jüngern erzählt. Es steht im Matthäusevangelium 13,44 ff: "Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Schatz, der in einem Acker vergraben war. Der Mann entdeckte ihn, grub ihn aber wieder ein. Und in seiner Freude verkaufte er alles was er besaß und kaufte den Acker". Da wird von einer Erfahrung berichtet, die fröhlich und zugleich glücklich macht. Und das sicher nicht erst morgen oder übermorgen. Wenn es denn um Gott geht, dann sind die Schätze schon heute zu gebrauchen: vielleicht als Zuversicht, vielleicht als Ermutigung, vielleicht als die gute Hoffnung, die unsere Füße leicht macht. Darum mag der Mensch nicht umsonst goldene Schuhe tragen. Mit dem "Schatz" in petto wird das Leben nicht unbedingt leichter, - aber ich werde leichter. Ob er wohl anfängt? Ob ich wohl anfange . .

Hannelore Pobuda

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 47 des 49. Jahrgangs (im Jahr 1999).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 28.11.1999

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