Sozialarbeiter mit Leib und Seele
Vorgestellt
23 Jahre jung, frisch verlobt und gerade fertig mit der Ausbildung zum Caritas-Fürsorger - so kam Reinhard Bögner 1964 nach Senftenberg. Dort jedoch erwartete ihn alles andere als eine Schonfrist. Kein weicher Einstieg ins harte Berufsleben! Denn neben vielen neuen Erfahrungen der Praxis traf der Berufsanfänger auf 16 Pfarrgemeinden in den Dekanaten Senftenberg und Finsterwalde, von denen keine zu kurz kommen wollte. Die Arbeitswoche muss-te also straff organisiert werden: Montags war Sprechzeit in Schwarzheide und Ruhland, dienstags in Finsterwalde, mittwochs in Großräschen, donnerstags und freitags in Senftenberg - immer einschließlich der umliegenden kleineren Pfarreien
Bögner, der heute Referent für Öffentlichkeitsarbeit der Caritas im Bistum Görlitz ist, lernte die Gemeinden kennen, baute Senioren- und Helferkreise mit auf, arbeitete in der Behindertenfürsorge und organisierte für Kinder und Familien Plätze in Erholungsheimen. Ein weiterer wichtiger Teil seiner Arbeit: Für Senioren besorgte er Unterkünfte in Feierabend- und Pflegeeinrichtungen. Waisenkindern oder Kindern aus zerrütteten Familien vermittelte er ein neues Zuhause in Kinderheimen. All diese Plätze ließen sich in den meis-ten Fällen - Dank einiger Caritasheime im Umkreis - in Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft vermitteln. Daneben organisierte Bögner im Sommer die religiösen Kinderwochen, machte Werbung für Berufe innerhalb der Kirche, er baute Alleinerziehenden- und Gehörlosenarbeit auf, engagierte sich in der Ökumene vor Ort und, und, und ... So "schrubbte" er weit mehr als 40 Arbeitsstunden pro Woche und mit seinem Dienst-Trabbi etwa 3000 Kilometer im Monat
Doch nicht allein die Fülle der Aufgaben war zu bewältigen. Eine besondere Herausforderung war für den gebürtigen Görlitzer der Umgang mit DDR-Behörden, etwa dem Rat des Kreises oder der Jugendhilfe, der sich in vielen Fällen nicht vermeiden ließ. Doch mit der Zeit entwi- ckelte Bögner ein gutes Gespür bei den Verhandlungen. Ganz wichtig für ihn: "Ich bin nicht beim Rat des Kreises aufgetaucht und habe gesagt Jetzt kommt hier die Caritas und dann werden wir mal sehen, wie es weitergeht'. Ich bin nur hin gegangen, wenn wegen eines konkreten Falles verhandelt werden musste." Ob die Verhandlungen erfolgreich verliefen, hing in vielen Fällen von den jeweiligen Amtsträgern ab. Hartnäckigkeit und eine Portion Schlitzohrigkeit brachten Bögner jedoch oft vorwärts. Wusste sich beispielsweise der Rat des Kreises in Senftenberg in einer strittigen Frage nicht zu entscheiden, sagte Bögner: "Also in Finsterwalde haben wir das so geregelt". Oftmals stimmten dann auch die Senftenberger zu. "Das hat sogar fast ein bisschen Spaß gemacht", gibt er im Nachhinein zu. Aber es muss-te der Wahrheit entsprechen
Herzstück seiner Arbeit waren für Bögner immer die Hausbesuche. "Manchmal bin ich wegen einer Kindererholung hin gegangen und habe dann noch von der kranken Oma erfahren, oder den Alkoholproblemen des Vaters", erinnert er sich. Oft zogen sich die Besuche auch bis in die Abendstunden hin und waren aufreibend. Mancher Einzelfall bereitete dem Fürsorger schlaflose Nächte. Trotzdem möchte er diese Zeit nicht missen
Die Namen der Menschen, die ihm damals begegneten, kann Bögner noch heute sagen - wie aus der Pistole geschossen
Ein Stolperstein seiner ersten Jahre: Oftmals fiel es ihm schwer, die Grenzen zwischen Fürsorge und Seelsorge zu ziehen. So ging Bögner in der ers-ten Zeit mancher Aufgabe nach, die rein seelsorgerlicher Natur war, und so eigentlich nicht in seinen Arbeitsbereich fiel. "Solche Beziehungen musste man dann auch wieder abbauen. Und das war nicht immer leicht ..
Einen weiteren Fehler, meint Bögner, habe er damals in den Gemeinden gemacht: Zuviel habe er in die eigenen Hand genommen. "Viele Gemeinden hätten einen eigenen Helferkreis haben können, wenn ich mehr zur Eigeninitiative motiviert hätte. Wenn man etwas aus der Hand gibt, muss man dann aber auch damit leben, wenn eventuell auch nichts passiert", erklärt er seien damaligen Zwiespalt
Insgesamt erinnert er sich jedoch gerne an diese zehn Jahre in Senftenberg. Nicht nur ihn haben diese Jahre geprägt, "auch die Familie", ist er sich sicher, ohne deren Unterstützung er sich seinen Dienst nicht hätte vorstellen können
Gerade diese Zeit war für Bögner Grundlage für die neuen Aufgaben bei der Görlitzer Diözesancaritas. Denn 1974 ging er, der inzwischen Familienvater von vier Kindern war, von Senftenberg nach Cottbus, wo er die Aufgabe eines Diözesan-Fürsorgers übernahm. Hier waren Schwerpunkte die stets notwendigen Koordinierungen mit der Zentralstelle des Deutschen Caritasverbandes in Berlin und den Diözesanstellen der ostdeutschen Bistümer. Ebenso wichtig waren die Aus- und Weiterbildung der Kollegen und die Leitung der Konferenz der Dekanatsfürsorger. Seine beruflichen Erfahrungen aus Senftenberg ermöglichten Bögner - seit 1977 ständiger Diakon - praxisbezogene Arbeit zu leisten
1990 betrat er dann mit der Öffentlichkeitsarbeit in der Geschäftsstelle noch einmal ganz neues Land. Juliane Schmidt
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 05.12.1999