Das Herz des Kranken berühren
Vortrag über die Praxis der Sterbehile in Erfurt
Erfurt (as) -Die erste Kammer des niederländischen Parlaments hat im April diesen Jahres mit großer Mehrheit ein Gesetz zur Legalisierung der aktiven Sterbehilfe beschlossen -für die Parlamentarier keine leichte Entscheidung, denn das Gesetz stieß im In- und Ausland auf heftige Kritik. Dennoch ist seitdem in den Niederlanden die aktive Sterbehilfe unter bestimmten Bedingungen erlaubt. Dass die Praxis aber auch weiterhin strengen Kriterien unterworfen ist, zeigte ein Vortrag von Diakon Rob M. Mascini aus dem Bistum Haarlem in den Niederlanden am 28. November in der Bildungsstätte St. Martin in Erfurt, zu dem das Katholische Forum eingeladen hatte. Mascini ist katholischer Theologe und Leiter des Pastoralteams im interkonfessionellen Krankenhaus Haarlem. Aufgabe dieses Teams ist es, die christliche Identität eines Krankenhauses in einer säkularen Umwelt mitzugestalten. Die Schwierigkeiten bei der aktiven Sterbehilfe in der ethischen Diskussion fangen nach den Worten Mascinis schon beim Begriff an. "Aufgrund ihrer Geschichte haben die Deutschen zum Beispiel ein schwieriges Verhältnis zum Euthanasie-Begriff", sagte Mascini. In den Niederlanden sei er eher positiv besetzt. Danach ist die Euthanasie "eine wohlüberlegte Handlung mit dem Zweck, das Leben eines Kranken auf dessen Bitten zu beenden". Dennoch, so der Diakon, unterliege die Euthanasie in den Niederlanden strengen Kriterien, so genannten Sorgfaltskriterien. Der Schritt dürfe durch den Arzt erst nach "reiflicher Überlegung" des Patienten vollzogen werden. Menschen, die ihren Willen nicht bekunden können, dürfen laut Gesetz auch in den Niederlanden nicht "euthanasiert" werden, selbst bei einer so genannten Patientenverfügung, nach der der Patient zu Lebzeiten seinen Körper für die Zeit nach seinem Tod zu Forschungszwecken zur Verfügung stellt. Schließlich müsse der Arzt der Überzeugung sein, dass "das Leiden aussichtlos und unerträglich ist", was auch eine unabhängige Kommission aus Ärzten und Juristen überprüft. "Kein Arzt geht diesen Schritt ohne Emotionen" bestätigt Mascini die Schwierigkeiten der Ärzte mit der Praxis der aktiven Sterbehilfe. Nach der Beendigung der Therapie für schwer Krebskranke zum Beispiel würden die Patienten oft an den Hausarzt zurückverwiesen.
Was aber, so Mascini, ist die Rolle der Kirche, des Seelsorgers. In Holland ist durch die Gesetzesänderung die Praxis der Euthanasie vor allem Sache der Mediziner. Die Gründe für ihre Legalität in den Niederlanden lägen auch in ihrer Geschichte begründet. Die große Religionsvielfalt des Landes erfordere von den einzelnen Gruppen ein hohes Maß an Toleranz und Achtung dem anderen gegenüber. Außerdem, stellt der Seelsorger fest, gehörten Begriffe wie "Autonomie und Selbstbestimmung" heute selbstverständlich zur ethischen Diskussion -ein Ergebnis der Liberalisierung und Säkularisierung der Gesellschaft. "Am Sterbebett kann der Seelsorger nicht mehr über die Sterbehilfe diskutieren", sagt Mascini. Wichtig sei in dieser Situation, das Herz des Kranken zu berühren. Die Kirche müsse den ethischen Dialog mit anderen lebendig halten und sich auf die Suche nach Alternativen in der Betreuung von Schwerkranken und Sterbenden machen, zum Beispiel in der Palliativmedizin.
Das niederländische Modell der Sterbehilfe ist auch in Deutschland auf heftige Kritik gestoßen. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Kardinal Karl Lehmann hat das Modell damals in einer Stellungnahme abgelehnt. Jede Form aktiver Sterbehilfe sei "Tötung eines Menschen" und deshalb aus christlicher Sicht unannehmbar. "Das Leben ist nicht frei verfügbar, sondern ein Geschenk Gottes. Niemand hat das Recht über den Wert oder Unwert eines menschlichen Lebens zu entscheiden", argumentierte der Kardinal. Die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe sei deshalb ein Dammbruch, der den Respekt vor dem menschlichen Leben relativiert. Ausdrücklich begrüßten die Bischöfe aber die "menschenwürdige Sterbebegleitung", die einen hohen Stellenwert habe. Aufmerksamkeit verdienten die verschiedenen Initiativen von Gruppen, die sich um eine menschenwürdige Sterbebegleitung bemühten.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Mittwoch, 12.12.2001