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Verweigerung oder Anpassung?

Offenbarung des Johannes (3)

Die Offenbarung des Johannes führt uns zurück zur Kirche am Ende des ersten Jahrhunderts nach Christus. Sie stellt uns Gemeinden vor Augen, die weithin offenbar ohne größere Probleme in einer heidnischen Umwelt leben und in der weltoffenen Gesellschaft der kleinasiatischen Städte ihren Platz gefunden haben (Offb 2,1-3,22). Sie treten zwar nicht öffentlich als Christen auf und finden sich nur im schützenden Raum von Hausgemeinden zusammen; sie haben sich aber mehrheitlich mit der heidnischen Öffentlichkeit arrangiert und nehmen durchaus am gesellschaftlichen Leben teil: Christliche Handwerker besuchen Zunftversammlungen, auch wenn diese mit einem heidnischen Opfer beginnen und heidnische Götter als Schutzgottheiten angerufen werden. Christliche Kaufleute nehmen die durch die römische Verwaltung gebotenen Vorteile in Anspruch, auch wenn dieser römische Staat sich in der Person des Kaisers mit einem göttlichen Anspruch präsentiert. Christen aus den Oberschichten pflegen weiterhin ihre gesellschaftlichen Kontakte, zu denen auch die Teilnahme an Mahlzeiten gehört, bei denen im Tempel geschlachtetes Opferfleisch verzehrt wird. Das bedeutet: Viele der kleinasiatischen Christen wollten durchaus in dieser Gesellschaft leben und nicht gegen sie kämpfen; sie sahen keinen Grund für eine Totalopposition gegen eine nichtchristlich geprägte Gesellschaft, sondern suchten sich mit den Gegebenheiten zu arrangieren

Die Öffentlichkeit hat diese Haltung offenbar weithin akzeptiert und christliche Gemeinden stillschweigend toleriert. Dies bestätigt trotz der scharfen Sprache und der Gerichtsankündigungen auch die Offenbarung des Johannes: Sie spricht zwar vom bevorstehenden Endkampf, nicht aber von einer systematischen Christenverfolgung, die bereits im Gange ist. Sie hat vielmehr lokal begrenzte, auf Einzelpersonen eingeschränkte Bedrängungen, Verdächtigungen, Verleumdungen im Blick. Nur von einem Märtyrer, mit Namen Antipas, ist die Rede (Offb 2,13), und auch er scheint nur als Ausnahme genannt zu sein. Das heißt: Wir müssen uns bezüglich der Offenbarung des Johannes "freimachen von der Vorstellung, als habe jeder Christ und jede Christin täglich und stündlich in der Gefahr geschwebt, zum Opfern vor die Kaiserstatue geschleppt zu werden." (H. J. Klauck)

Die konkrete Praxis wird man sich nach einem Brief des jüngeren Plinius an Kaiser Trajan (112 n. Chr.) so vorstellen dürfen, dass man den Christen nicht nachspürte beziehunhgsweise sie ausfindig zu machen suchte. Nur auf Anzeige hin wird das Gericht aktiv. Dies bedeutete in der Praxis wohl weithin, dass man Christen, wenn sie nicht durch spezielle Aktionen auffällig wurden, tolerierte. Das gerichtliche Verfahren freilich ließ - wenn es einmal in Gang gesetzt war - dann kaum noch Auswege: Wer nicht vor Götter- und Kaiserbild zu opfern bereit war und zudem Christus verfluchte, verfiel normalerweise der Todesstrafe

In diese Maschinerie von Anzeige und Prüfung war offenbar der schon genannte Antipas geraten: "Er war sozial auffällig geworden aufgrund seiner neuen vom Glauben bestimmten Lebenspraxis und hatte eine Anzeige provoziert. Im Gerichtsverfahren verweigerte er das Opfer vor Götter- und Kaiserbild, er bekannte sich weiter zu Jesus seinem Herrn, anstatt ihn ... zu verfluchen. Das kostete ihn das Lebens" (H. J. Klauck)

Auch der Verfasser des Buches, jener uns ansonsten fremde Prophet "Johannes", könnte in diesem Sinn in Konflikte gekommen und möglicherweise mit Verbannung bestraft worden sein. Er scheint sich zumindest in diesem Sinne vorzustellen: als "Johannes, euer Bruder und Mit-Teilhaber in der Drangsal", der "auf der Insel Patmos war, um des Wortes Gottes und des Zeugnisses Jesu willen ..." (1,9). Auch sonst verdeutlicht er, dass er im Falle des Kaiserkults für eine harte und kompromisslose Lösung eintritt: Totalverweigerung, entschiedener Widerstand gegen alle heidnische Propaganda, insbesondere gegen den Kaiserkult. Für ihn ist gerade die göttliche Verehrung des Kaisers der Anfang der endzeitlichen Rebellion der Geschöpfe gegen Gott. Das aber kann seiner Meinung nach nur bedeuten: Der Endkampf zwischen Gott und der gottlosen Schöpfung ist angezeigt, die letzte Auseinandersetzung steht bevor, Gott tritt an gegen alle widergöttlichen Mächte und wird sie in seinem Gericht vernichten. Deshalb ruft er die Gemeinden in dieser Stunde dazu auf, ohne Wenn und Aber Stellung zu beziehen, aus allen Bereichen, die von diesem unheiligen Staat und seiner gotteslästerlichen Repräsentanz bestimmt sind, auszuziehen (Offb 18,4)

Die Frage, wohin die Gemeinden denn ausziehen sollten - in den Untergrund, in ländliche Verborgenheit, ins Ausland? - stellt der Prophet nicht. Von seiner Sicht her braucht man diese auch nicht mehr zu stellen, weil diese Welt sowieso dem Ende entgegen geht. Die Offenbarung des Johannes reagiert somit nicht auf eine im Gang befindliche Christenverfolgung, sondern auf die eigentlich "normalen" Probleme, mit denen Christen in einer heidnisch geprägten Umwelt konfrontiert sind. Sie führt uns vor Augen, dass schon am Ende des ersten Jahrhunderts nach Christus heftig darüber gestritten wurde, wo in einem solchen Umfeld die christlichen Gemeinde zwischen Anpassung und Totalverweigerung ihren Platz finden kann

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 49 des 49. Jahrgangs (im Jahr 1999).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 12.12.1999

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