Die kaiserlichste der Kaiserinnen
1000. Todestag
In der Nacht vom 16. zum 17. Dezember 999 starb die deutsche Kaiserin Adelheid (einen biografischen Beitrag finden Sie auf Seite 14). Ihr 1000. Todestag ist Anlass für ein Adelheid-Fest am 18. Dezember in Magdeburg. Den Festvortrag hält die Historikerin Dr. habil. Gerlinde Schlenker von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Der Tag des Herrn sprach mit ihr:
Frage: Frau Dr. Schlenker, wer war Adelheid, was macht sie so bedeutend?
Schlenker: Adelheid war eine große und für die Entwicklung des deutschen Staates wichtige Herrschergestalt, wie es in der Geschichte nur wenige gibt. Sie hat es besonders in der Zeit ihrer Ehe mit Otto dem Großen verstanden, die Geschicke des Staates mitzubestimmen. Bedeutend war sie auch als Christin. In einer Zeit der Verweltlichung der Klöster hat sie - unter dem Einfluss der von Cluny ausgehenden Reformbewegung - drei Klöster gegründet. Darüber hinaus hat sie sich als Fürsprecherin für kirchliche Belange eingesetzt. Auf ihren Einfluss gehen zahlreiche Schenkungen des Kaisers an die Kirche zurück. Und sie hat sich um Arme und Notleidende gekümmert
Frage: 1000 Jahre sind eine lange Zeit. Welche Quellen gibt es über das Leben von Adelheid und wie verlässlich sind sie?
Schlenker: Über ihre Kindheit und Jugend wissen wir sehr wenig. Umso mehr erfahren wir aber über Adelheid als Königin von Oberitalien und später als Königin und Kaiserin in Deutschland. Hier gibt es mehrere Quellen. Besonders wichtig ist die Gedächtnisschrift, die Odilo von Cluny geschrieben hat und in der er Adelheid als die "kaiserlichste unter den Kaiserinnen" bezeichnet. Natürlich beschreibt Odilo manches ein bisschen überschwenglich, deshalb ist ein vorsichtiger Umgang damit geboten. Doch im Ganzen entspricht das Bild, das Odilo von Adelheid als bedeutender Frau zeichnet, der Realität
Die besten und verlässlichsten Quellen sind die Königsurkunden. Adelheid wird darin häufig als "Mitregentin" bezeichnet. Und auch im Volk genoss sie große Verehrung. Schon bald nach ihrem Tod kamen zahlreiche Pilger an ihr Grab. Es wird von Wundern berichtet. Knapp einhundert Jahre später - im Jahr 1097 - hat Papst Urban II. sie heilig gesprochen
Frage: Die "kaiserlichste unter den Kaiserinnen" - was zeichnete Adelheid gegenüber anderen Herrscherinnen aus?
Schlenker: Adelheid war eine Frau, die zum Regieren geboren war. Und das konnte sie an der Seite ihres Mannes Otto des Großen voll entfalten. Adelheid hat die politischen Absichten Ottos verstanden und ihn unterstützt. Das unterscheidet sie von vielen Kaiserinnen und Königinnen vor und nach ihr, die zwar die Gemahlin des Herrschers waren und die Kinder erzogen, aber eben nicht Mitregentinnen waren
Voraussetzung für die Rolle, die Adelheid spielte, war ihre Bildung. Sie war eine sehr gebildete Frau, viel gebildeter als ihr Mann Otto. Erst durch sie lernte er beispielsweise Lesen und Schreiben. Der Kaiser sprach nur Altsächsisch, Adelheid beherrschte mehrere Sprachen, so dass sie beim Besuch von Gesandtschaften am Hof häufig als Dolmetscherin tätig war. Und sie hat für Otto - was für eine Kaiserin völlig ungewöhnlich ist -lateinische Urkunden übersetzt. Adelheid verstand es zu regieren. Sie war - als gleichberechtigte Partnerin von Otto dem Großen - tatsächlich Mitherrscherin
Frage: Nach dem Tod Ottos des Großen 973 bestieg Otto II. den Thron. Dessen Frau Theophanu versuchte, Adelheid zu verdrängen ..
Schlenker: Adelheid hat sich nicht aus der Politik heraus drängen lassen. Als sie auf Drängen von Theophanu aus Sachsen vertrieben wurde, suchte sie eine neue Lücke für ihr Wirken in anderen Teilen des Reiches und behielt dabei aber das Wohl des ganzen Reiches im Auge. Sie will die Entwicklung des deutschen Staates voranbringen, aber sie will keinen Streit und weicht deshalb - wenn nötig - zurück
Frage: War Adelheid eine Ausnahmefrau?
Schlenker: Betrachtet man das zehnte Jahrhundert, dann war sie es nicht. Die Herrscherinnen dieser Zeit - beispielsweise auch Theophanu - oder auch Adelheids Tochter Mathilde als Äbtissin von Quedlinburg muss man, was ihre Bedeutung betrifft, in eine Reihe stellen. Einen Unterschied gibt es allerdings: Adelheid war ein langes Leben beschieden und deshalb konnte sie mehr bewirken als andere. Betrachtet man die späteren Jahrhunderte, dann war Adelheid eine Ausnahme. Nie wieder hat eine Frau aus dem deutschen Hochadel - anders war es in Frankreich - diese Macht besessen
Frage: Das Jubiläum wird in Magdeburg gefeiert. Was verbindet Adelheid mit dieser Gegend?
Schlenker: Adelheid hat sehr viel für das Erzbistum Magdeburg getan. Es sind acht Urkunden überliefert, in denen sie sich für das 968 gegründete Erzbistum einsetzt und ihren Mann Otto den Großen bewegt, der Kirche reiche Schenkungen zu machen. Außerdem war Adelheid gelegentlich selbst in Magdeburg oder Quedlinburg. Beispielsweise wurde - wenn der Königshof im deutschen Reich weilte - in Magdeburg der Palmsonntag und in Quedlinburg das Osterfest gefeiert
Frage: Was ist der Sinn eines Festes zu Ehren einer Frau, die vor 1000 Jahren lebte?
Schlenker: Ich will es an einem anderen Beispiel deutlich machen. Vor einiger Zeit habe ich eine Ausstellung über Philipp Melanchthon vorbereitet. In diesem Zusammenhang habe ich eine Umfrage gemacht und war entsetzt: Die Menschen im Mansfelder Land kennen zwar Luther, Melanchthon kennen sie nicht. Ich bin mir sicher, die meisten Leute kennen auch Adelheid, die so viele Verdiens-te um die Entwicklung des deutschen Staates hat, nicht. Wir müssen die großen Persönlichkeiten der Geschichte mehr in den Blick der Menschen rücken. Außerdem - verstehen sie mich nicht falsch, ich bin keine Emanze, aber in einer Zeit, in der Frauen im politischen und öffentlichen Leben so wenig präsent sind, ist es gut, den Blick auf bedeutende Frauengestalten der Geschichte zu richten
Frage: Glauben Sie, dass man heute jemanden für einen Menschen, der in grauer Vorzeit eine wichtige Rolle gespielt hat, begeistern kann?
Schlenker: Ja. 1997 haben wir des 1000. Todestages von Mathilde, der Äbtissin von Quedlinburg, gedacht. Die Festveranstaltung fand abends statt, und ich sollte den Vortrag halten. Naja, wer wird schon kommen, um eine Frau zu würdigen, die 1000 Jahre tot ist, habe ich mich gefragt. Doch es kamen so viele, dass der Saal nicht ausreichte
Der durch die DDR verursachte Bildungsverlust in der mittelalterlichen Geschichte ist groß. Wer sich damals wie ich mit dem Mittelalter beschäftigte, wurde etwas belächelt. Seit 1990 ist das anders. Wenn wir heute Veranstaltungen zu Themen aus dieser Zeit anbieten, dann kommen die Leute. Sie wollen etwas erfahren aus dieser Zeit, die uns so fremd ist. Und vielleicht wollen sie auch ein bisschen Mut für die heutige Zeit daraus schöpfen
Interview: Matthias Holluba
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 19.12.1999