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Aus der Region

Zwischen Ideologie und pragmatischer Akzeptanz

DDR-Geschichte

Dieter Stolte "Es ist erstaunlich, aber wahr. Trotz vielfacher Versuche des Staates, die kirchliche Krankenpflegeausbildung zu unterbinden oder auf sie Einfluss zu nehmen, ist es über die gesamte DDR-Zeit hinweg gelungen, sie in Regie der katholischen Kliniken durchzuführen und so einigen Tausend jungen Menschen eine christlich geprägte Ausbildung zuteil werden zu lassen", sagt Dr. Dieter Stolte. Der heute 63-Jährige war von 1968 bis 1989/90 bei der Zentralstelle Berlin (Ost) des Deutschen Caritasverbandes (DCV) Referent für die Belange der katholischen Krankenhäuser. Als solcher war der promovierte Wirtschaftswissenschaftler auch für die Verhandlungen mit dem Gesundheitsminis-terium und der Gewerkschaft Gesundheitswesen in der DDR zuständig

Diese Kontakte waren "im Großen und Ganzen korrekt und sachlich", so Stolte rückblickend. Vor allem die zustande gekommene Ausbildungsvereinbarung von 1975, die später mehrfach fortgeschrieben wurde, habe es erlaubt, "eine überzeugende Krankenpflegeausbildung in kirchlich-karitativem Sinn anzubieten". Bis zu 255 Schulabgänger konnten seitdem DDR-weit jährlich ausgebildet werden. "Werbung und Auswahl erfolgten durch Caritas, Pfarrgemeinden und Ausbildungskrankenhäuser, was bei den vielfältigen staatlichen Planungs- und Lenkungsbestimmungen keineswegs selbstverständlich war", so Stolte. "Von nicht zu unterschätzender Bedeutung war aber auch, dass die Kirche mit der einjährigen pflegerischen Tätigkeit in der Praktikanturzeit und dem sich anschließenden dreijährigen Krankenpflege-Fernstudium eine umfangreiche kirchliche Unterweisung verknüpfen konnte."

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren alle Krankenpflegeschulen in der sowjetisch besetzten Zone aufgelöst und neue eingerichtet worden. Zwar wurden in Potsdam, Halle (2), Erfurt, Heiligenstadt und im sowjetischen Sektor Berlins (2) insgesamt sieben katholische Krankenpflegeschulen genehmigt, die Kirche bekam jedoch erheblich weniger Plätze zugestanden als aus ihrer Sicht nötig waren. Obwohl nach Gründung der DDR ein mehrfach angekündigtes Gesetz über die Errichtung von öffentlichen Großschulen nicht in Kraft gesetzt wurde, verfolgten die SED-Machthaber intensiv das Ziel, die Krankenpflegeausbildung zu zentralisieren. "Die Kirchen gerieten unter wachsenden Druck und wehrten sich", sagt Stolte. "Aus einer Aktennotiz des damaligen Caritasdirektors Franz Füssel von 1950 geht hervor, dass die Angelegenheit offensichtlich bis nach Moskau ging und dort ein zurückhaltendes Vorgehen gegenüber der Kirche befohlen wurde." Schließlich bestätigte das Ministerium für Arbeit und Gesundheitswesen in einem Brief an den DCV Berlin 151 Ausbildungsplätze je Jahrgang für die bestehenden sieben katholischen Krankenpflegeschulen. Die staatliche Anerkennung der Abschlüsse wurde nicht in Frage gestellt, obgleich das Ministerium an den Schulen eine Unterweisung in gesellschaftlichen Fragen erwartete

"Eine neue bedrohliche Situation", so Stolte, "entstand 1964, als die katholischen Krankenpflegeschulen aufgrund neuer gesetzlicher Bestimmungen der staatlichen Ausbildung gleichgeschaltet werden sollten und bei Weigerung mit dem Entzug der staatlichen Anerkennung gedroht wurde." Die Bischöfe reagierten nachdrücklich: Sie machten Bestandsschutz durch das Potsdamer Abkommen sowie die DDR-Verfassung geltend und lehnten Vereinbarungen ab. Gleichzeitig erließen sie für die Krankenpflegeschulen eine Grundordnung, die deren Zugehörigkeit zur Kirche unterstrich. Die Grundordnung wurde durch einen Lehrplan ergänzt, der die staatlichen Neuregelungen aufnahm. Stolte: "Die uneingeschränkte innerkirchliche Akzeptanz der bischöflichen Regelungen stärkte zweifellos die Position der Kirche gegenüber der DDR-Regierung." Schließlich entspannte sich die Lage. "Einerseits signalisierte der Gesundheitsminister, die DDR beabsichtige nicht, durch die Hintertür zu einem ,kleinen Staatsvertrag' zu kommen - was dafür sprach, dass man es eigentlich doch wollte - andererseits zeigte die Kirche Bereitschaft, für jede Krankenpflegeschule eine Regelung zur beruflichen Ausbildung des pflegerischen Personals abzuschließen. Mit der anstelle des Begriffs ,Vereinbarung' ausbedungenen Bezeichnung ,Regelung' wollte die Kirche verdeutlichen, dass sie zwar zu notwendigen Sachabsprachen, auf keinen Fall aber zu einer qualitativen Veränderung des Staat-Kirche-Verhältnisses zugunsten der DDR bereit war."

1965 wurden zwischen den zuständigen Räten der Bezirke und den bischöflichen Jurisdiktionsbezirken Regelungen abgeschlossen, die je Jahrgang eine Ausbildung von insgesamt 165 und später 175 Krankenschwestern und -pflegern erlaubte. Damit befanden sich ständig insgesamt 700 junge Leute in der vierjährigen Ausbildung, die mit Facharbeiterabschluss und staatlicher Anerkennung endete

"Anlass für neue Unsicherheiten gab es in der zweiten Hälfte der 60er Jahre, als die konfessionellen Einrichtungen zwar in kirchlicher Trägerschaft belassen, aber weitgehend an das staatliche Gesundheits- und Sozialwesen angeglichen werden sollten", erinnert sich Stolte. "Dass sich aus diesen Absichten keine nachteiligen Auswirkungen ergaben, dürfte unter anderem daran gelegen haben, dass die DDR zur Gewährleistung des Gesundheitsschutzes auf die konfessionellen Häuser angewiesen war."

Die katholischen Kliniken stellten zwar nur drei Prozent (plus fünf Prozent evangelischerseits) der Betten, galten aber als stabile Leistungsträger, die in der Lage waren, ihre Mitarbeiter überdurchschnittlich zu motivieren und Ressourcen zu mobilisieren, die für den Staat weniger zugänglich waren. Katholische Kliniken erhielten zum Beispiel immer wieder moderne Medizintechnik aus dem Westen geschenkt. Stolte: "Solange die DDR insofern an arbeitsfähigen kirchlichen Krankenhäusern interessiert sein musste - und das war bis zu zu ihrem Ende 1989/90 so - bestanden auch gute Chancen für die Fortführung der kirchlichen Krankenpflegeausbildung." Zudem waren im Ernstfall auch Partei- und Staatsfunktionäre daran interessiert, in einem konfessionellen Krankenhaus behandelt zu werden

1973 wurde die Berufsausbildung mittlerer medizinischer Kräfte in eine medizinische Fachschulausbildung umgewandelt. Damit sollten diese Berufe attraktiver und eine Abwanderung in die Produktion gebremst werden. Dieser Schritt bedeutete praktisch das Ende der bisherigen kirchlichen Ausbildungsmöglichkeiten, zumal betont wurde, Fachschulen in kirchlicher Trägerschaft seien wegen des staatlichen Ausbildungsmonopols prinzipiell nicht möglich. Als Ausweg wurde der Kirche in Aussicht gestellt, jährlich bis zu 175 Schülerinnen an staatlichen Fachschulen ausbilden zu lassen. Für die weitere Nutzung der katholischen Kapazitäten wurde eine Hilfsschwesternqualifizierung sowie die Ausbildung von Krankenpflegerinnen und -pflegern mit Facharbeiterabschluss vorgeschlagen. Letztere sollten sich in einem anschließenden zweijährigen Fernstudium an medizinischen Fachschulen zu Vollkrankenschwestern / -pflegern qualifizieren können. Stolte: "Für die Caritas war dies von gewissem Interesse wegen der Möglichkeit, Schulabgänger besonders in den ersten zwei Jahren kirchlich unterweisen und prägen zu können. Schließlich bestand nach zehn Jahren DDR-Schul-Erziehung viel Veranlassung für eine sorgfältige Hinführung zum kirchlichen Dienst, ergänzt durch allgemeinbildenden Unterricht. Das Modell scheiterte jedoch, weil sich die Facharbeiterausbildung zur Krankenpflegerin in der angestrebten Weise innerstaatlich nicht durchsetzen ließ."

Zu einem Durchbruch kam es im Februar 1975. Das DDR-Gesundheitsministerium bot an, die katholischen Ausbildungskapazitäten in die staatliche Fachschulausbildung einzubeziehen. Danach sollten die Schülerinnen zunächst eine einjährige praktische Tätigkeit in einem kirchlichen Haus und anschließend eine dreijährige pflegerische Ausbildung absolvieren. Der praktische und auch der überwiegende Teil des theoretischen Unterrichts sollte von Lehrkräften kirchlicher Einrichtungen vermittelt werden. Nur Marxismus-Leninismus und angrenzende Lehrgebiete sollte grundsätzlich den medizinischen Fachschulen vorbehalten bleiben. Die Fachschulanerkennung würde durch die medizinischen Fachschulen, die staatliche Anerkennung durch die Räte der Städte / Kreise erfolgen. In diesem Zusammenhang wurden der Kirche zwei weitere Ausbildungsstätten in Leipzig und Görlitz sowie eine Erhöhung der Ausbildungskapazität auf insgesamt 255 Plätze pro Jahrgang zugestanden. Bei diesem Angebot dürfte nach Einschätzung Stoltes folgende Situation eine Rolle gespielt haben: "Auch dem Gesundheitswesen - zumal es in der politischen Hierarchie der DDR eher unten angesiedelt - fehlten häufig die Mittel, die es zur umfassenden Erfüllung seines Auftrages benötigte. In dem der Kirche die Möglichkeit geboten wurde, Pflegepersonal im Fernstudium auszubilden, sah das Ministerium eine Möglichkeit, zusätzlich Mitarbeiter für das Gesundheitswesen zu mobilisieren. Zudem wurde erkannt, dass die kirchlichen Krankenhäuser ihren christlichen Charakter und hohen Pflegestandard auf Dauer nur mit kirchlich ausgebildetem Personal halten könnten."

In die Verhandlungen schaltete sich im Mai 1975 das Staatssekretariat für Kirchenfragen ein und legte einen Vereinbarungsentwurf auf der Basis des Artikels 39 (Die Kirchen ordnen ihre Angelegenheiten in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Bestimmungen der DDR.) der Verfassung vor. Zugleich wurde eine Unterzeichnung auf möglichst hoher Ebene angestrebt. Stolte: "Hinweisen aus dem Gesundheitsminis-terium zufolge spielte dabei eine Rolle, dass der vatikanische Erzbischof Augusto Casaroli in der DDR erwartet wurde und die Schlusssitzung der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa in Helsinki bevorstand, an der auch Casaroli teilnahm. Vermutlich erschien es der DDR wegen ihres Interesses an voller staatlicher Anerkennung politisch opportun, gegenüber den Kirchen Offenheit und Kooperationsbereitschaft zu demonstrieren", so Stolte. "Zudem war die DDR daran interessiert, dass die Bistumsgrenzen der Gebiete, die noch zu westlichen Diözesen gehörten, neu geordnet würden."

Die Kirche ließ sich auf den Vertrag unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Verfassung ein. "Die zehn Jahre zuvor gezeigte Distanz gegenüber dem Staat wurde insoweit nicht beibehalten. Jedoch wurde kirchlicherseits auf die ausdrückliche Feststellung Wert gelegt, dass der konfessionelle Charakter der katholischen Einrichtungen durch die Vereinbarung nicht berührt wird." Nach dem Willen des Staatssekretariates sollte in die Präambel der Satz aufgenommen werden, der Staat schließe die Vereinbarung in Anerkennung ausgezeichneter Leistungen des kirchlichen Gesundheits- und Sozialwesens ab. Stolte: "Politische Vorsicht veranlasste die Kirche, darauf nicht einzugehen."

Am 10. Juli 1975 kam es zur Unterzeichnung der "Vereinbarung über die Ausbildung von mittleren medizinischen Fachkräften für eine Tätigkeit in katholischen Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens der DDR - Ausbildungsvereinbarung". Vorangegangen war Ende Juni eine ähnliche Übereinkunft der DDR-Regierung mit den evangelischen Kirchen, woran ebenfalls das Staatssekretariat für Kirchenfragen mitgewirkt hatte. Die Ausbildungsvereinbarung mit der Katholischen Kirche wurde von Staatssekretär Hans Seigewasser, von Gesundheitsminister Professor Ludwig Mecklinger, von Weihbischof Joachim Meisner als Vertreter der Berliner Ordinarienkonferenz und vom Leiter der DCV-Zentralstelle Berlin, Direktor Roland Steinke, unterzeichnet. Sie war die erste und zugleich einzige Vereinbarung zwischen Katholischer Kirche und Staat auf der Grundlage des Artikels 39 Absatz 2 der DDR-Verfassung. Stolte: "Damit hatte die DDR zwar ihr Ziel erreicht, zu einem Vertragsabschluss mit der Kirche zu kommen, zugleich erkannte sie aber den kirchlichen Charakter der katholischen Ausbildungsstätten öffentlich an."

In der Folge war es für die Kirche wichtig darauf zu achten, dass die Ausbildungsvereinbarung nicht auf örtlicher Ebene durch Medizinische Fachschulen unterlaufen wurde. "Es kam vor", so Stolte, "dass einzelne Direktoren oder Lehrkräfte versuchten, absprachewidrig in die Organisation der Ausbildung einzugreifen oder politisch Einfluss zu nehmen. Über das Ministerium konnte die Zentralstelle Berlin in der Regel die Einhaltung absichern." Im Jahr 1985 wurde in die auch kirchlicherseits verbindlichen staatlichen Ausbildungspläne "Marxistisch-leninistische Ethik" aufgenommen. Es drohte das Problem, das Fach übernehmen zu müssen. In einer Auslegung zur Ausbildungsvereinbarung konnte jedoch geregelt werden, stattdessen ein Fach "Ethik" mit weitgehender inhaltlicher Ausgestaltung durch die Kirche einzuführen. De facto gab es solchen Unterricht längst im Rahmen der kirchlichen Unterweisung

"Bei aller politisch-ideologischen Verankerung im DDR-System hatte das Gesundheitsministerium auf der Sach-ebene einen Gestaltungsspielraum", resümiert Dieter Stolte. "Das aber eröffnete den kirchlichen Vertretern die Möglichkeit, sich mit den Vertretern des Ministeriums auf der fachlichen Ebene zu verständigen. Im Gesundheitsministerium wurde die Arbeit der kirchlichen Kliniken einschließlich ihrer Ausbildungsstätten geschätzt." Eckhard Pohl

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 50 des 49. Jahrgangs (im Jahr 1999).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 19.12.1999

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