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Aus der Region

Weihnachtsgeschichte auf mittelalterlichem Altar

Malerei

Altarbilder vergangener Jahrhunderte ziehen auch heute noch mit ihrem farbigen Bilderreichtum, einer Fülle biblischer Anspielungen und einem detailfreudigen Szenarium in ihren Bann. Das gilt auch für den Altar aus Keilhau (nahe Rudolstadt), der 1507 in der Werkstatt von Valentin Lendenstreich in Saalfeld fertiggestellt wurde und der heute im Anger-Museum in Erfurt zu bewundern ist. Die museale Präsentation macht leicht vergessen, dass ein solches Altarbild - der Name sagt es schon - Bild im Altarraum der Kirche war. An zentraler Stelle im Kirchenraum bot es den Gläubigen einen Blickfang. Es war Ort der Meditation, aber auch der Unterweisung und deutete vor allem aus, was in jeder Eucharistie gefeiert wurde

Altarbilder haben in einer Liturgie, die anders als heute die unmittelbare tätige Teilnahme am liturgischen Geschehen nicht kannte, große Bedeutung besessen. Das Altarbild, das auf- und zugeklappt werden konnte, wandelte sich mit dem Kirchenjahr. Es konnte das, was im Zentrum eines Festes stand, zeigen, konnte es aber auch den Blicken entziehen. Das Altarbild stand im Dienst an der Liturgie. Es stellte den Gläubigen Ereignisse der Heilsgeschichte vor Augen. Schon für Gregor den Großen galten Bilder als Bücher der Schriftunkundigen. Doch Altarbilder hatten noch viel größere Bedeutung: Diese Bilder repräsentierten. Sie bildeten das Christus-mysterium ab, sie stellten die Heiligenverehrung der Kirche dar. Im Bild wurde das entfaltet, was in der Liturgie des Kirchenjahres und insbesondere in der Eucharistie gefeiert wurde

Da mag das gewählte Altarbild den heutigen Betrachter überraschen. Bei geschlossenem Altarbild - es soll hier alleine interessieren - sah die Gemeinde in Keilhau weihnachtliche Motive - und dies nicht nur zur Weihnachtszeit. Die linke Tafel des Altars erzählt die Verkündigung. Der Engel, der Maria die Verheißung der Geburt Jesu überbringt, steht links neben Maria. Maria sieht man ganz in der Pose der demütigen Magd, und doch ist sie schon im Gestus und durch die weiße und blaue Farbe ihres Gewandes, wie es eine Vision der Birgitta von Schweden beschreibt, als Gottesmutter zu erkennen. Maria zieht den Betrachter in ihren Bann. Mit vielen Details tut das Bild subtil das Seine dazu: Das Beutelbuch auf dem Tisch belegt die Weisheit und Schriftkenntnis Mariens. Ist es das Alte Testament, das ausdrücklich den Messias erwartet und herbei sehnt und das unaufgebbare Fundament des Christusbekenntnisses ist? Die Blumen auf dem Tisch bezeichnen die Tugenden Mariens; das Betpult weist auf ihre Frömmigkeit hin

Die Verkündigungsszene wird der Gemeinde lebendig und vielfarbig vor Augen gestellt. Doch darf über dem ersten Eindruck nicht das Entscheidende vergessen werden. Gott selbst handelt hier, der Aufbau des Altarbildes zeigt es an. "Maria, voll der Gnade" - Gott heiligt Maria. Er sendet ihr seinen Geist, wie mit der Taube, die vom Himmel herabkommt, ganz plastisch dargestellt wird. Himmlisches und Irdisches kommen zusammen, Gott nimmt menschliche Gestalt an in Jesus von Nazareth. So spricht das Bild letztlich von Jesus Christus selbst. Die Szene bleibt nicht bei der Verkündigung stehen. Christus ist immer auch schon gleichsam "im Bilde"

Das Bild auf der rechten Tafel zeigt es: Alle Augen sind auf das Jesuskind gerichtet. Das Bild fordert die Gemeinde auf, selbst anzubeten. Eine typische Weihnachtsszene: Maria kniet demütig neben dem Kind, Josef bleibt deutlich im Hintergrund. Die Engel bezeugen dem Kind ihren Lobpreis, und sogar Ochs und Esel erkennen ihren Herrn, heißt es doch schon bei Jesaja 1,3: "Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn." Hoch über der Szene stimmen Engel einen Lobpreis auf die Himmelskönigin an

Das Haus am linken Bildrand mit seinem beschädigten Dach deutet den Verfall der alten Welt an und kann mit Amos 9,11 die zerfallene Hütte Davids bezeichnen, deren Wiedererrichtung verheißen ist. Hoffnung verheißt der Baum in der rechten Bildhälfte, der wieder grün ausgeschlagen hat. Im Hintergrund erkennt man Landschaft: Berge, Bäume, ein Fluss und ein Fachwerkhaus. Der Blick kann in die Ferne schweifen. Zugleich ist die Landschaft geöffnet auf das Ereignis im Vordergrund, die Geburt Christi hin. Die Landschaft, in der die Geburt des Messias sich ereignet, ist vertraut. Weihnachten ist also nicht allein ein Geschehen in historischer Vergangenheit. Weihnachten geschieht vielmehr hier und jetzt, ereignet sich im Heute. Von der Vergangenheit her schlägt das Bild den Bogen zur Gegenwart. Geburt Christi ist lebendige Gegenwart und betrifft den Menschen immer neu. Es ist die irdische Realität, in die Gott eingeht

Gewiss ein idyllisches Bild, aber doch auch mehr: Ernsthaftig- keit prägt das Altarbild. Es schwingt noch Tiefgründigeres mit als auf den ersten Blick wahrgenommen wird. Der Altar, auf dem das Bild steht, ist der Ort, an dem in der Eucharistie Leiden, Tod und Auferstehung Jesu Christi gefeiert werden, das Pascha Christi also. In diesem Kontext steht auch das Altarbild. Es bleibt nicht bei Verkündigung und Weihnachten stehen. Schaut man auf die Predella, den Sockel des Altaraufsatzes, so sieht man Christus mit den zwölf Aposteln. Die Zeugen der Eucharistie sind bewusst ganz nah herangerückt an die Feier der Eucharistie in der Messe. Bild und Liturgiefeier weisen hin auf das Ostergeschehen. Schaut man also Bild, Predella und die an dem Altar gefeierte Liturgie als ein großes Gesamtbild an, dann legt sich die Deutung nahe: Von Verkündigung und Weihnachtsgeschehen geht der Blick schon auf Leiden, Tod und Auferstehung. Es bleibt nicht allein bei einer Krippenidylle, der Ernst des Lebens Jesu von Nazaret wird nicht beiseite gedrängt. In jeder Eucharistiefeier werden Kreuzestod und Auferstehung Christi zum Heil der Menschen gefeiert. Von der Hoffnung, die sich darin birgt, spricht das Altarbild. Der Chor der Engel singt den Lobpreis. Und über allem und in allem ist Gott selbst. Bei ihm nimmt alles seinen Anfang, zu ihm führt alles zurück

Davon kündet das Altarbild aus Keilhau seit Jahrhunderten. Das bewegt und wird gefeiert in jeder Eucharistie, im Kirchenjahr insgesamt, auch im Weihnachtsfest. Diese Botschaft bringt das Altarbild uns heute noch nahe: Hinter allem Vordergründigen die Tiefe des Christusereignisses zu suchen - und zu finden. Benedikt Kranemann, Erfurt

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 51 des 49. Jahrgangs (im Jahr 1999).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 26.12.1999

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