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Bistum Dresden-Meißen

Christus kam nur bis Eboli

Bischof Reinelt

"Christus kam nur bis Eboli." Dieses italienische Sprichwort, das den Titel für den berühmten Roman von Carlo Levi gab, will sagen: Christus ist nicht bis in den letzten verlassenen Winkel eines süditalienischen Dorfes gelangt. Hier sind die Sitten rauh geblieben, die Menschen verschlossen, dumpf und resigniert, auch nach 2000 Jahren Christentum. Was hat das Christentum denn eigentlich erreicht? So würde heute an der Schwelle zum dritten Jahrtausend jeder Reporter den Papst, einen Bischof, letztlich jeden Zeitgenossen recht provozierend fragen. Und mehr oder weniger stotternd käme die Antwort: Dass man da unterscheiden muss und dass es natürlich auch dunkle Seiten gab und noch heute gibt, aber wenn jemand die Kultur nach Europa gebracht, alte kulturelle Schätze bewahrt hat, dann doch wohl das Christentum, die Kirche. Natürlich die gewaltsame Sachsenmission unter Karl dem Großen und andere dunkle Kapitel stellen sich heute schwierig dar. Aber das Christentum hat doch überhaupt erst die Lehre von der Personenwürde des Menschen vollendet: Es gäbe keine Charta der Vereinten Nationen ohne die christliche Moral, ohne das Gebot der Nächsten- und Feindesliebe. Die Idee der sozialen Marktwirtschaft hat christliche Wurzeln, wenngleich es mit der Umsetzung sehr hapert. Das Christentum hat schon etwas erreicht, das Christentum ... das Christentum?

Nein, diese Formulierung ist ungenügend. Unser Glaube, unser Leben als Christen ist nicht ein System, ein Schutzwall, hinter den wir uns zurückziehen können oder eine billige Reklame, die wir - anders gewendet - wie Nestbeschmutzer mit Graffiti entwerten oder einfach auswechseln könnten. Die Frage am Ende dieses Jahrtausends lautet nicht: Wie weit ist das Christentum vorgedrungen, sondern: Wie weit ist Christus gekommen? In mir, in meinem Nächsten, in meiner Stadt, diesem Land, ja auf dieser immer noch in Geburtswehen liegenden, stöhnenden Erde?

Nur bis Eboli? Nur bis fast an die Probleme, nur bis fast an die Lebensadern, die letzten Sorgen und Nöte? Nur bis an die Oberfläche, hat er nur das Make-up ein wenig angekratzt, oder ist er uns innerlicher geworden als wir es uns selbst sind, wie schon der hl. Augustinus formuliert?

Christus ist überallhin gelangt, er ist Mensch geworden, er selbst macht jeden Menschen aus. Christus geht unter die Haut. Und wenn wir den Weihnachtstrubel nicht nur negativ sehen wollen, dann liegt in der Sehnsucht so vieler, ja vielleicht aller Menschen diese letzte Ahnung, dass Christus schon bei ihnen ist

Auch im erwähnten Roman kommt in das entlegene Bergdorf ein Arzt, ein Verbannter, der dort den Kampf mit der Malaria aufnimmt. Er handelt als Chris-tus, als Retter und Heiland. Die Menschen spüren und sehen es. Christus kommt über jedes Eboli hinaus, über jede Mauer, die Menschen errichtet haben, er überspringt sie, ja er reißt sie ein

Das Christentum hat etwas erreicht, wenn es bedeutet: Chris-tus gestern, Christus heute, Christus geboren und gegenwärtig unter uns, in dieser Welt überall, in Ewigkeit

Bischof Joachim Reinelt

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 51 des 49. Jahrgangs (im Jahr 1999).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 26.12.1999

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