Gott nimmt eure Sehnsucht ernst
Bischof Wanke
Ein Gang durch die deutschen Fußgängerzonen an den langen, verkaufsoffenen Samstagen im Advent befremdet. Einkaufstrubel, "Konsumterror", gehetzte Menschen und ganze Kohorten von Weihnachtsmännern bestimmen das Straßenbild
Angesichts solchen Trubels, fragen viele Menschen: "Wie kann åman heute noch Weihnachten feiern?" Andere sagen mit mehr oder weniger bissiger Kritik: Die verkaufsfördernde und billige Romantik der Heiligen Familie und die gequälte Idylle des Stalls von Betlehem haben wenig mit der Botschaft und dem Sinn des Weihnachtsfestes zu tun. Wie ein Eisberg im Nordmeer taucht sie im Weihnachtstrubel auf, die vielfältige Kritik daran, wie Weihnachten heute untergeht und das Fest gnadenlos vermarktet wird
Diese Kritik ist jedoch trotz des gewaltigen Geschäftsrummels überzogen. Die Weihnachtsbotschaft ist und bleibt die geheime Mitte dieses Festes, mag es noch so säkularisiert sein
Der Engel sagt zu den Hirten auf dem Felde: "Seht, ich verkünde euch eine große Freude, die allem Volk zuteil werden soll: Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist Christus, der Herr" (Lukas 2, 10-11). Das ist die biblische Antwort auf den Weihnachtstrubel und die Oberflächlichkeit der Welt. Kern der Botschaft ist die Geburt des Messias, die Geburt Jesu Christi, unseres Herrn und Retters. Gott wird Mensch, einer von uns. Gott wird ein Bruder gerade der Armen und Verstoßenen, Verlorenen, Vergessenen und Sünder. Dies ist mehr als eine billige Vertröstung, denn Gott ist Mensch geworden. Die Ohnmacht des Kindes, die Armut einer Familie, die Heimatlosigkeit der Fremde, die Erbärmlichkeit eines Stalles. Ist das nicht unsere Welt, in die er hineingeboren wird? So weit geht die Güte und Menschenliebe Gottes
Diese Botschaft ist auch die Antwort auf diese Frage: Was treibt den modernen, gehetzten Menschen heute dazu, all die weihnachtlichen Ausgaben, Anstrengungen und Hetze in Kauf zu nehmen, wenn nicht der geheime Wunsch nach Ruhe, Besinnung und Geborgenheit? Sind diese "Äußerlichkeiten" der Vorweihnachtszeit und des Festes nicht gleichsam eine Sehnsucht danach, dass wenigsten für ein paar Stunden oder Tage alles anders sein soll als sonst?
Die biblische Antwort zu Weihnachten unserer Tage heißt immer noch: Ja, euer Wunsch und eure Sehnsucht, dass es ganz anders werden soll mit euch, sind berechtigt, so berechtigt, dass Gott selber diesen Wunsch und diese Sehnsucht ernst genommen hat. Denn er hat seinen eigenen Sohn als Messias in diese Welt gesandt
Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien ein gesegnetes, gnadenreiches und vor allem auch besinnliches Weihnachtsfest!
Bischof Joachim Wanke
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 26.12.1999