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Bistum Dresden-Meißen

Bischof Reinelt an Silvester

Predigtgedanken

Zur Frage "Was wir aus dem zweiten Jahrtausend zu lernen haben" gab Bischof Joachim Reinelt in seiner Silvesterpredigt folgende Anregungen:

Erstens: Der Wille nach Freiheit hat bisher alle Fesseln gesprengt. Mag ein System noch so abgesichert sein durch Soldaten, Polizei, Sicherheitsdienste und Spitzel, gegen den Drang nach Freiheit gibt es keine dauerhaften Methoden. Der Mensch ist von Gott mit Freiheit ausgestattet worden und er wird nie ruhen, bis er sie ausüben kann.

Zweitens: Macht in der Hand eines Einzigen oder einer einzigen Gruppe ist ein Spiel mit dem Feuer. Die Macht durch das Volk legitimiert ist ein entscheidender Fortschritt, auch wenn die Demokratie viele Schwachstellen hat. So sagte vor Jahren der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt: Das Volk wählt nicht den Besten, sondern nur den, den es für den Besten hält. Dabei kann es sich sehr irren. Das ständige Hin und Her im demokratischen Rollenspiel ist für uns sowieso noch immer gewöhnungsbedürftig, aber wir wollen nie wieder zurück zu: Die Partei hat immer recht.

Drittens: Friede ist ein Grundrecht der Völker. Krieg ist keine Lösung für Probleme der Nationen und deren Gruppen. Zu lange haben die Menschen Krieg als etwas Unvermeidliches betrachtet. Bauen wir nach den Kriegerdenkmälern nun Denkmäler des Friedens. Sichern wir den Frieden weniger durch Waffen als vielmehr durch ehrliches Miteinander.

Viertens: Die Absage an jeden Fanatismus muss Ehrensache eines jeden Menschen werden. Aus politischem und religiösem Fanatismus kamen Grausamkeiten, die unzählige Millionen das Leben kosteten. Das aufgeklärte 20. Jahrhundert hatte die meisten Opfer fanatischen politischen Wahns zweier gottloser Systeme. Lasst uns nie mehr einem Menschen Glauben schenken, der meint, die Endlösung für die entscheidenden Fragen selber gefunden zu haben.

Fünftens: Toleranz bleibt unverzichtbar. Sie heißt allerdings nicht: Alle Meinungen sind gleichwertig. Toleranz bedeutet: Man kann Einsichten nicht erzwingen. Die Menschen haben zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Erkenntnisse. Auch in der Kirche haben wir nicht alle gleichzeitig das gleiche Glaubensniveau. Wie Gott Geduld mit uns hat, müssen auch wir füreinander Geduld aufbringen.

Sechstens: Totale Liberalität im Sinne von Beliebigkeit - jeder lebt nach seinem Geschmack - ist der Anfang des Chaos in der Gesellschaft. Der Einzelne hat nicht nur Rechte, sondern ebenso auch Pflichten gegenüber dem Anderen und der Gesellschaft. Ohne verpflichtende Ordnung wird aus notwendigem Staatsgefüge das Chaos der Individualis-ten, ohne Ordnung der Kirche wird das Chaos der Sekten. Ohne verbindliche Struktur ist Gemeinschaft unmöglich.

Siebentes: Kultur macht man nicht. Kultur wächst. Sie erwächst den Sehnsüchten und Erfahrungen, die den Menschen über sich selbst hinaus auf Trans-zendentales verwiesen. Die Inkulturation des Christlichen ist für uns eine bleibende Aufgabe. Wir können uns nicht auf dem wertvollen Erbe vergangener Generationen ausruhen.

Achtens: Die Wirtschaft ist für den Menschen da, nicht der Mensch für die Wirtschaft. Wir sind dankbar für den Wohlstand, den vergangene Jahrhunderte nur erträumen konnten. Wissenschaft und Technik haben durch einen rasanten Fortschritt am Ende dieses Jahrtausends unvorstellbare Erfolge erreicht. Nun muss aber das Erreichte allen zugute kommen. Es darf nicht sein, dass der eine nicht schläft, weil er um seine Millionen bangt, und der andere nicht schläft, weil er nicht weiß, wie er seine Kinder ernähren soll.

Neuntens: Die Welt ist im Laufe dieses Jahrtausends einander immer näher gerückt. Man spricht inzwischen mit Recht von dem einen Weltdorf. Kommunikationstechnik braucht nur Sekundenbruchteile, um uns über Schicksale auf fernen Kontinenten zu informieren. Wege, die noch in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts Wochen beanspruchten, werden in wenigen Stunden erledigt. Nun ist die Frage: Wie schnell wachsen wir geistig, sozial, religiös zusammen? Eine geeinte Welt ist der Auftrag für das dritte Jahrtausend.

Zehntens: Wir glauben ganz fest, dass die großen Aufgaben der Menschheit auch in Zukunft nicht durch ein ausgeklügeltes Management zu lösen sind, sondern der Hand Gottes bedürfen. Seinen Segen haben wir vielfältig und den menschlichen Verstand überschreitend erfahren. Ihm unser Te Deum zu singen mit den Engeln, Aposteln, Propheten und Märtyrern ist uns ein Herzensbedürfnis. Wie in Bruckners beeindruckendem Te Deum-Abschluss wollen wir voll Vertrauen beten: "Auf dich, o Herr, habe ich meine Hoffnung gesetzt. In Ewigkeit werde ich nicht zuschanden."

Bischof Joachim Reinelt

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 2 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 09.01.2000

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