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Gern in eine andere Haut schlüpfen

Konsolen in St. Sebastian

Was hat ein Affe in der Kirche zu suchen? Hoch oben im Gewölbe steht er auf einem Schlussstein. Dieser ist schön geschmückt mit goldenen Eichenblättern auf dunkelblauem Grund. Und dort hat sich der Affe einen Platz erobert und schaut fast herausfordernd in den Kirchenraum. Der Affe sieht gar nicht wie ein Affe aus. Sein ganzer Körper ist mit einem weinroten Gewand bekleidet. Schwanz, Ohren und Fell sind nicht zu sehen. Das Gesicht mit dem großen Maul und dem starren Blick wirkt wie eine Maske. Auch die Körperhaltung des Tieres ist nicht typisch, steif und unlebendig steht der Affe da. Mir scheint, er will kein Affe sein!

Er imitiert menschliches Aussehen und auch menschliches Ansehen. Nicht umsonst umgibt er sich mit goldenen Eichenblättern (Siegeskranz) vor einem blauen Hintergrund und trägt eine rote Gewandung. Die Farben Rot und Gold deuten auf Sieg und Herrschaft, das Blau symbolisiert Dauer. Der Affe ist sich seines Wertes bewusst!

Affen besitzen einen starken Trieb zur Nachahmung, aber auch der Mensch hat einen Drang dazu. Wir Menschen schlüpfen auch gern in eine andere Haut und spielen ebenso gern eine besondere Rolle, als die, die wir spielen können. Wie der Affe auf der Säule!

Wir bevorzugen auch einen besseren Platz als den, den wir innehaben, einen, der uns mehr Anerkennung, Ansehen und Möglichkeit zu mehr Selbstverwirklichung gewährleistet. Mit welchen Mitteln versuchen wir dieses Verlangen zu realisieren?

Wenn ich ein Idol oder einen bestimmten Lebensstil imitiere, das heißt, wenn meine Person, Überzeugung, meine Möglichkeiten und Fähigkeiten nicht dahinter stecken und ich nur nachahme, nachäffe, dann verliere ich auf die Dauer mich selber, meine Identität. Denn ich verschließe mich den Realitäten. Es gibt ein Bild, auf dem drei Affen dargestellt sind. Einer hält sich die Ohren zu, der andere die Augen und der dritte den Mund. Zurück zu unserem Affen auf der Säule: Dieser ehrenwerte Platz ist doch nicht der geeignete für ihn. Er sollte das rote Gewand ausziehen und von Säule zu Säule springen. Dann käme wieder Leben und Freude in sein Dasein. Und wir hätten unseren Spaß daran - könnten einmal darüber nachdenken. Genau das hat der mittelalterliche Künstler mit der Darstellung des Affen in der Kirche bezweckt.

Eva Lampa

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 2 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 09.01.2000

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