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Siehe, ich mache alles neu

Offenbarung des Johannes (Schluss)

von Claus-Peter März

Eigentlich liest man Bücher von vorn nach hinten. Bisweilen aber erweist es sich als hilfreich, auch einmal von hinten nach vorn zu lesen. Zumindest bietet sich eine neue Perspektive, wenn man nach der Lektüre den Gang der Handlung noch einmal von seiner Auflösung her rückschauend überblickt: Die Entwicklungslinien treten klarer hervor, die Intention des Autors ist deutlicher zu erkennen und manche Abschnitte erscheinen in einem ganz neuen Licht. Gerade bei der Lektüre der Offenbarung des Johannes erweist sich ein solcher "Standortwechsel" als ausgesprochen hilfreich.

Liest man das Buch von vorn her, dann trifft man zunächst auf jene sieben Gemeinden in Kleinasien, an die das Schreiben adressiert ist. Sie werden in jeweils eigenen Botschaften dazu aufgefordert, sich in einer besonderen geschichtlichen Stunde ganz auf den Willen Gottes auszurichten (Kapitel 1-3). Das Gewicht dieser geschichtliche Stunde wird im Hauptteil des Buches (Kapitel 4-20) durch die Ankündigung verdeutlicht, dass die große kosmische Auseinandersetzung der Endzeit unmittelbar bevorstehe. Nur in diesem zentralen Abschnitt des Buches finden sich jene aufwühlenden Bilder, die uns das Verständnis der Offenbarung des Johannes so schwer machen: "Da werden die ,apokalyptischen Reiter' entsandt, um Krieg, Hunger und Seuchen über die Erde zu bringen; da wird der ,Brunnen des Abgrundes' geöffnet, und aus dem Rauch, der diesem Brunnen entströmt, kommen furchtbare Wesen wie riesige Heuschrecken heraus, um die Menschen zu peinigen; Engel schütten goldene Schalen über das Meer und die Flüsse und die Quellen aus, und sie werden zu Blut ..., breit wird die Verderbtheit der großen Dirne ,Babylon' und das Schrecken erregende Gericht über sie dargestellt; und die Schrecken steigern sich bis zum endgültigen Gericht Gottes über den Antichristen und seine Heerscharen und den Satan. Es ist als ob die Traumängste der Menschheit vor den Katastrophen der Weltgeschichte uns geballt entgegen träten" (W. Thüsing).

Viele Bibelleser gewinnen ihr Verständnis der Offenbarung des Johannes ausschließlich aus diesem mittleren Abschnitt und verbinden deshalb das Buch nur mit der Ankündigung des Weltuntergangs und der apokalyptischen Plagen. Liest man aber die Schrift bis zum Ende, dann zeigt sich, dass die Beschreibung des endzeitlichen Infernos in die Vision der neuen Schöpfung mündet - einer Schöpfung, die sich wieder ganz auf Gott zurückführt, die befreit ist von allem Widergöttlichen und in der der Mensch unverstellt auf Gott trifft (Kapitel 21-23).

Im Bild des himmlischen Jerusalem steigt eine neue Zivilisation vom Himmel herab, die ihre Kraft aus der Gegenwart Gottes bei seinem Volk schöpft. "Er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen" (Offb 21, 4). Die Menschheit lebt mit Gott und von Gott, und alles ist umfangen vom Lobpreis für ihn als Ursprung des Lebens: "Es wird keine Nacht mehr geben, und sie brauchen weder das Licht einer Lampe noch das Licht der Sonne. Denn der Herr, ihr Gott, wird über ihnen leuchten, und sie werden herrschen in alle Ewigkeit" (Offb 22,5).

Schon wenn wir die Offenbarung des Johannes als ganze im Auge haben und vor allem auch diesen lichtvollen Abschluss aufnehmen, werden wir das Buch nicht nur als drohende Ankündigung des Weltendes lesen können. Unser Verständnis wird sich freilich noch mehr wandeln, wenn wir der zu Beginn angedeuteten "Methode" folgen und das Buch einmal "vom Schluss her" lesen. Dann zeigt sich nämlich der so ausführlich und erschreckend beschriebene "Endkampf" zwischen Gott und dem Teufel als Prozess, der auf die Befreiung der Schöpfung hinzielt, und die apokalyptischen Bilder erhalten von der Vision der Vollendung her ihren eigentlichen Sinn. Nicht Zerstörung, sondern Vollendung der Schöpfung wird den Menschen vor Augen gestellt; nicht auf Angst, sondern auf Freude hin werden sie orientiert. Zugleich aber ist mit allem Nachdruck davon die Rede, dass die Schöpfung, in der die Menschen leben, bedroht ist - von Mächten, die sie zu okkupieren suchen, von Menschen, die sie als ihr Eigentum betrachten, von der Angst der vielen, die die Augen verschließen und nicht sehen wollen, wie das verdirbt, worauf sie hoffen. Gott ist es, der die Schöpfung wieder zu der ihr von Anfang an zugedachten Freiheit zurückführt.

So betrachtet, treffen wir in der Grundintention der Offenbarung des Johannes auf eine Orientierung, die von dem, was wir als unseren christlichen Auftrag in dieser Zeit empfinden, nicht so weit entfernt ist. Denn deutlicher als früheren Generationen steht uns gerade die Bedrohung der Schöpfung ebenso wie unsere Verantwortung für ihre Bewahrung vor Augen: Wenn der Weg nicht ins Verderben führen soll, sind alle, die Hoffnung für diese Schöpfung haben, zur Verantwortung, zur Wachsamkeit und gegebenenfalls auch zum Widerstand gegen lebensfeindliche Kräfte aufgerufen.

Auch wenn wir nicht in allem der schroffen Sicht des Propheten werden folgen wollen, darin aber werden wir uns mit ihm treffen: Wir sind in den Streit um die Freiheit der Schöpfung einbezogen, und ihre Bewahrung wird nicht ohne unseren Einsatz gelingen. Und auch das wissen wir: Wir würden uns unser Gericht selber schaffen, wenn wir vor all dem die Augen verschließen.

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 2 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 09.01.2000

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