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Aus der Region

"Einsiedler" - gestern und heute

Elfride Kiel zum 90.

Dieser Beitrag aus dem Magdeburger Heiligenbuch erscheint aus Anlass des 90. Geburtstages von Elfride Kiel, den sie am 18. Januar in einem Altenpflegeheim bei Leipzig begeht.

Dies muss ich zuvor sagen: Gerne bin ich - von Leipzig aus - gelegentlich zum Schreiben "irgendwo" - auf dem Huy, im Harzwald, an Unstrut oder Saale oder im Thüringer Land. Oft ist der Wohnraum klein und unterm Dach, ein andermal groß und geräumig. Leider meist nur für kurze Zeit, für einige Tage oder Stunden ...

Ganz ungeplant und "zufällig" - "Zufall" im guten Wortsinn gemeint - bin ich für einige Tage "Einsiedlerin" mitten im verschneiten Harzwald. Meine "Einsiedelei" ist eine Gaststätte in der Nähe von Königshütte-Mandelholz, an der Straße gelegen. Das Gasthausschild zeigt eine grüne Tanne - mitten im Winter. Unmittelbar am Fenster meines kleinen Zimmers steht mein "Schreibtisch", ein Gasthaustisch. Schneesturm! Die Tannen biegen sich hin und her, wie im Tanz. Wald war einst Wildnis, war Gefahr. Draußen sein hieß im "Elend", im "Ausland", in der Fremde sein. Der Name des kleinen in der Nähe gelegenen Harzortes Elend erinnert daran. Rastort und Pilgerherberge war er. Ich denke an die Einsiedler, Klausner und Klausnerinnen im Harzwald. Nur wenige Kilometer sind es nach Michaelstein-Volkmarskeller (Liutbirg, Volkmar), nach Ilsenburg (Wanlef), nach Drübeck (Sisu und Adalbrin). Ihr Leben war Loslösung, war Hingabe, war Gebet. Sie sangen das Gotteslob, vor allem den Psalter. Nächtelang blieben sie oft wach, meditierten und beteten. Langeweile hatten sie wohl kaum. Ausgefüllt war auch ihr Tag. Dies war die Ordnung: das Morgenlob, die Feier der Eucharistie, Dankgebet, Bittgebet, Gebet für Menschen, die zu ihnen kamen. Sie hörten ihre Sorgen an und nahmen sie auf in ihr Gebet und waren ihnen Ratgeber.

Eigenbrötler waren sie gewiss nicht - niemals wären sie sonst zurechtgekommen. Auch Weichlinge waren sie gewiss nicht. Sie mussten Jahr um Jahr mit den Gegebenheiten und Härten ihres Lebens fertig werden. Fertig werden auch mit Wetter, wie ich es eben in diesen Tagen erlebe: Orkanartiger Sturm. Der Sturm deckte Dächer ab, entwurzelte starke Bäume. So ging es tagelang: Schneesturm, Regenschauer, Tauwetter, Glatteis, Neuschnee, Stille.

Ob das den Einsiedlern lieb oder leid war? Sicher nahmen sie Schnee und Eis in ihr Beten auf. Im Brausen des Sturmes wird ihr Beten und Singen anders geklungen haben als am Frühlingstag. Im Lauf des Jahres werden sie die vielen "kleinen" Dinge gesehen haben: Blumen, Blüten, Blätter, Steine. Der große Lobgesang der drei Jünglinge im Feuerofen war wohl in besonderer Weise ihr Gebet. "Preist den Herrn, all ihr Werke des Herrn; lobt und rühmt ihn in Ewigkeit! Preist den Herrn, ihr Himmel; preist den Herrn, ihr Engel des Herrn! All ihr Wasser über dem Himmel, preiset den Herrn; all ihr Mächte des Herrn, preiset den Herrn! Preiset den Herrn, Sonne und Mond; preist den Herrn, ihr Sterne am Himmel! Preist den Herrn, aller Regen und Tau; preist den Herrn, all ihr Winde! Preist den Herrn, Feuer und Glut; preist den Herrn, Frost und Hitze! Preist den Herrn, Tau und Schnee; preist den Herrn, Eis und Kälte! Preist den Herrn, ihr Nächte und Tage; preist den Herrn, Licht und Dunkel! Preist den Herrn, Rauhreif und Schnee; preist den Herrn, ihr Blitze und Wolken! Die Erde preise den Herrn; sie lobe und rühme ihn in Ewigkeit! Preist den Herrn, ihr Berge und Hügel; preist den Herrn, all ihr Gewächse auf Erden ... Preist den Herrn, ihr Quellen und Flüsse. Preist den Herrn, ihr Tiere des Meeres und alles, was sich regt im Wasser; preist den Herrn, all ihr Vögel im Himmel! Preist den Herrn, all ihr Tiere, wilde und zahme; preist den Herrn, ihr Menschen! Lasst uns preisen den Vater und den Sohn mit dem Heiligen Geist, ihn loben und rühmen in Ewigkeit!"

"Echte" und "Wahleinsiedler auf Zeit" waren und sind nie ganz allein! Am Tisch des Gasthauses meiner "Einsiedelei" sitzen Leipziger. Schnell kommen wir ins Gespräch. Alle vier Wochen fahren sie herauf in den Harz. Sie haben eine "Hütte", eine "Datsche" im Harz. Sie freuen sich über die Ruhe, über die Luft, über den Wald. Die Rehe kommen bis ans Haus und werden gefüttert. An einem Abend sitze ich mit zwei jungen Berlinerinnen am Tisch: Bachsängerin die eine, Geophysikerin die andere. Interessante Gespräche führen zusammen, Gespräche über Beruf und Berufung. Sie gehören keiner Konfession an, sind aber engagiert an Fragen um den Menschen, um Gott, zu denen sie die Lektüre eines Buches anregte. Sie notierten sich daraus das Gebet einer Äbtissin, in dem es zum Schluss heißt:

"Herr, mache mich teilnehmend, aber nicht sentimental, hilfsbereit, aber nicht aufdringlich ... Gewähre mir, dass ich Gutes finde bei Leuten, wo ich es nicht vermutet habe. Und schenke mir, Herr, die Liebenswürdigkeit, es ihnen auch zu sagen ..."

Die beiden wohnen für einige Urlaubstage im Haus. Wind und Wetter stören sie nicht. Sie wandern hinaus, weite Wege, meist bergwärts. Wald, Winterwald ist für uns Erholung und Ruhepunkt, Stille für Stunden, für Tage. Aber ob wir die innere und äußere Kraft hätten für ein Leben in der Einsamkeit wie die Einsiedler? Unsere Lebensform ist anders. Vielleicht würden die "echten" Einsiedler über uns tageweise, wahlweise "Einsiedler" von heute in der Datsche oder im Gasthaus lächeln. Vielleicht - oder sicher - würden sie uns verstehen oder zu verstehen suchen, für uns beten und den großen Lobgesang für uns mitvollziehen.
Elfride Kiel

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 3 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 16.01.2000

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