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Aus der Region

Gemeinsam der Unsicherheit begegnen

Kardinal König

Kardinal Franz König (94) hat sich als Erzbischof von Wien und Leiter des Vatikanischen Sekretariats für die Nichtglaubenden zu Zeiten des Kommunismus intensiv um den Kontakt zu Christen, aber auch um den Dialog mit Atheisten im Ostblock bemüht. König wurde für sein europäisches Engagement Ende letzten Jahres mit dem Preis der Wartburg-Stiftung in Eisenach geehrt. Für den Tag des Herrn äußerte sich König zu den heutigen Herausforderungen der Kirche in dieser Region:

Über die enttäuschten Hoffnungen auf eine religiöse Erneuerung im östlichen Europa

Mit dieser Frage beschäftigt sich zurzeit der Wiener Pastoraltheologe Paul M. Zulehner im Rahmen seines Pastoralen Forums. Mit Experten, Religionssoziologen, vor allem aus dem östlichen Bereich, untersucht er die Frage "Gott nach dem Kommunismus". Ein dritter Band dieser Reihe ist bereits erschienen. Es geht um die Frage, wie Religion und Kirchen im östlichen, beziehungsweise im mittleren Europa auf den Druck des Kommunismus reagiert haben. Der vor zehn Jahren verbreitete Optimismus, dass der Zusammenbruch des Kommunismus eine religiöse Erneuerung, eine religiöse Renaissance in jenen Ländern zur Folge hätte, hat sich als Irrtum herausgestellt. Heute müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass die Herrschaft des Kommunismus die heute lebende Generation im östlichen Europa tiefer beeinflusst hat, als man bisher glaubte.

Die genaueren Untersuchungen zeigen, dass nicht nur die religiöse Unwissenheit, sondern auch die religiöse Gleichgültigkeit, nicht nur in der Generation zwischen 18 und 30 Jahren sehr groß ist. Zum Teil lebt heute die Hälfte oder noch mehr der Berufstätigen ohne Religion und ohne kirchliche Bindung. Neuere Untersuchungen zeigen, dass im früheren Ostdeutschland, oder etwa in Tschechien, heute an die zwei Drittel der Menschen ohne jede religiöse oder kirchliche Bindung leben. Der jahrzehntelang dauernde Kampf des Kommunismus gegen Religion und religiöse Überzeugung wirkt heute noch viel mehr nach, als man bisher angenommen hat. Dazu kommt eine durch Medien negativ beeinflusste öffentliche Meinung im Westen, die auch im Osten spürbar wird. Hier hilft nur das religiöse christliche Beispiel eines Lebens aus dem Glauben. Das gilt vor allem für die Familien und die klein gewordenen Pfarrgemeinden mit ihren Gruppen, die durch Beispiel und Zeugnis ganz von selber wirksam werden.

Weil aber Religion zum Wesen des Menschen gehört, müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass religiöse Sekten in immer größerer Zahl dort heimisch werden, wo in Europa ein großes religiöses Vakuum vorhanden ist; wo Chris-ten keine Orientierung durch ihr Beispiel und keine Antwort auf die letzten Fragen geben.

Diese negative Situation hat aber auch ihre positiven Aspekte: Die getrennten christlichen Kirchen werden genötigt, gemeinsam der religiösen Unwissenheit, Verworrenheit und Unsicherheit zu begegnen. Als katholische Christen müssen wir davon ausgehen, dass lebendig gewordene oder lebendig werdende Pfarrgemeinden hier Hilfe bringen, wie verschiedene eindrucksvolle Beispiele praktischer Nächstenliebe an der Basis bezeugen.

Über konkrete Schritte in der Ökumene - vor allem in den Pfarrgemeinden

Seit Beginn des 19. Jahrhunderts wurde in der christlichen Welt vor allem im europäischen Bereich das Verlangen immer stärker, dass die getrennten christlichen Kirchen - heute sind es derer ja bereits einige Hunderte - wieder versuchen, einander näher zu kommen und die verlorene Einheit neu zu bauen. Auf eine solche Weise könne die christliche Botschaft wieder Licht auf dem Berge und Salz der Erde werden. Der so genannte ökumenische Dialog wurde bereits vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil im Bereiche der evangelischen Kirche immer stärker - das Zweite Vatikanische Konzil hat dieses Verlagen sehr nachdrücklich aufgegriffen und in einem eigenen Dekret über den Ökumenismus darauf hingewiesen: "Eine solche Spaltung widerspricht aber ganz offenbar dem Willen Christi, sie ist ein Ärgernis für die Welt und ein Schaden für die heilige Sache der Verkündigung des Evangeliums vor allen Geschöpfen" (Nr. 1).

Das im Oktober unterzeichnete Dokument von Augsburg, - ein vom Lutherischen Weltbund wie von der katholischen Kirche unterzeichneter Versöhnungsvertrag - ist ein hoffnungsvolles Zeichen in diesem Sinne. Der ökumenische Dialog, vor allem auf der Ebene der Pfarrgemeinden, an der Basis, zeigt, wie viel getrennte Christen im praktischen Leben, im sozialen und karitativen Bereich, etwa auf der Pfarrebene, miteinander wahrnehmen und tun können. Je mehr die Christen auf verschiedenen Wegen sich bemühen, Missverständnisse zu beseitigen, Vorurteile abzubauen und näher zusammenzurücken, umso mehr wird die Botschaft Christi auch in unserer Zeit ihre Wirksamkeit entfalten können.

Am ersten Adventssonntag letzten Jahres wurde im Dom zu St. Stephan in Wien zu einem Christentag eingeladen, zu dem alle christlichen Kirchen, die im Ökumenischen Rat der Kirchen in Österreich vertreten sind, einluden. Der Dom war gefüllt mit Christen der verschiedenen Konfessionen, es wurde gemeinsam gesungen und das alte Glaubensbekenntnis miteinander gebetet. Auch das war ein Beispiel, wie viel an der Basis gemeinsam bereits möglich ist, wenn auch die volle Einheit der christlichen Kirchen noch einen längeren Weg erfordert.

Über die Herausforderungen der Kirche durch den Atheismus

Gaudium et Spes, das ist jenes Dokument des letzten Konzils, das als Pastoralkonstitution "über die Kirche in der Welt von heute" die ersten Spuren (Nr. 19 bis 21) des damals neu errichteten "Sekretariates für Nichtglaubende" trägt. In diesem Text spricht das Konzil von den Wurzeln des Atheismus und macht darauf aufmerksam: Die Kirche müsse "auch um der Liebe zu allen Menschen willen" der Meinung Ausdruck geben, dass die vielschichtigen und vielfältigen Gründe des modernen Atheismus "ernst und gründlich geprüft werden müssen" (Lumen Gentium, Nr. 21). Damit änderte die Kirche ihre Haltung der Verteidigung gegenüber Atheismus und Unglauben im 19. Jahrhundert und öffnete so in der Neuzeit ihre Tore, um im Gespräch, Dialog, auch den Atheisten unserer Welt zu begegnen. Der Konzilstext zögert nicht, aufmerksam zu machen, dass auch gläubige Christen einen "erheblichen Anteil haben können am Entstehen des Atheismus"; ja, man müsse sagen, dass "sie durch Vernachlässigung der Glaubenserziehung, durch missverständliche Darstellung der Lehre oder auch durch die Mängel ihres religiösen, sittlichen und gesellschaftlichen Lebens das wahre Antlitz Gottes und der Religion eher verhüllen als offenbaren" (a. a. O.). Und ich füge hinzu: Atheisten hat es immer gegeben und wird es immer geben. Aber der kämpferische Atheismus kommunistischer Prägung hat sich heute gewandelt und präsentiert sich heute als vielschichtiges und vieldeutiges Phänomen der religiösen Indifferenz und Gleichgültigkeit - ein Massenphänomen, das durch die Medien in Europa mitgetragen wird.

Wenn die Theologen Johann Baptist Metz oder Karl Rahner vom "Unglauben der Gläubigen" sprechen, so meinen sie damit eher aufmerksam machen zu sollen auf eine weit verbreitete Säkularisierung der öffentlichen Meinung in Europa. Europa sei, - so meinte unlängst ein englischer Religionssoziologe - heute der am meisten säkularisierte, das heißt, religionslose Kontinent der Erde geworden. Daraus ergibt sich meine Antwort: Für uns katholische Chris-ten - in Verbindung mit der christlichen Ökumene - kann es nicht darum gehen, für unser religiöses Weltbild, für unser christliches Welt- und Menschenbild zu werben, um das kirchliche Prestige in der Öffentlichkeit besorgt zu sein; es geht vielmehr um das überzeugende Beispiel eines christlichen Lebens in der Familie und in den verschiedenen Gruppierungen in der Pfarrgemeinde - damit die Botschaft Christi nicht in der Theorie, sondern in der Praxis der Welt verkündet werde. An der Schwelle eines neuen Jahrtausends ist es die große Aufgabe der Christenheit.

Wenn das Römische Reich versuchte, durch zwei Jahrhunderte hindurch, die christliche Botschaft zu vernichten, die sich letztlich aber als stärker erwies, dann zeigt uns ein solcher Blick in die Geschichte, dass Gottes Wort in Jesus Christus stärker ist als alle Widerstände in dieser Welt.

Über das Versagen, aber auch das einmalige Angebot der Kirche

Die Frage, ob die Kirche Christi in unserer Zeit versage, ist wohl sehr verständlich; denn die Frage nach dem Erfolg des eigenen Bemühens und Schaffens liegt gewiss auf der Hand. Die Kirche Christi - wenn wir alle getrennten christlichen Kirchen in ökumenischem Sinne zusammenfassen - ist heute die größte Religionsgemeinschaft auf der Erde. Die Situation der katholischen Kirche ist in Europa zurzeit weit ungünstiger als auf anderen Kontinenten, wie zum Beispiel Nordamerika.

Die Christen in Europa, die katholische Kirche auf diesem Kontinent, spüren sehr wohl, dass ihr ein widriger Wind ins volle Angesicht bläst, dass eine negative Kritik weithin die öffentliche Meinung und den Nachrichtendienst beherrscht. Wer hingegen mit Kirchengemeinden in der Stadt oder auf dem Lande in Kontakt kommt, am Sonntagsgottesdienst teilnimmt, wird oft einen andern Eindruck mitnehmen können. Viele unserer kleiner gewordenen Gemeinden sind lebendig, missionarisch, feiern ihren Sonntagsgottesdienst und ihre kirchlichen Feste mit Freude und Zuversicht. Hier spürt man etwas von einer frohen Botschaft, von einer guten Nachricht, die sie weitergeben.

Heute geht es darum, ein falsches Kirchenbild in der Öffentlichkeit zu korrigieren. Das Zweite Vatikanische Konzil hat in seiner "Dogmatischen Konstitution über die Kirche" kurz darauf hingewiesen, was man unter Kirche Chris-ti zu verstehen habe: Die irdische Kirche und die mit himmlischen Gaben beschenkte Kirche bestehe nicht aus zwei verschiedenen, getrennten Größen, sondern sie ist "eine einzige komplexe Wirklichkeit, die aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst"; so die knappe Formulierung des Konzils. Ansonsten kommt man zu einer ganz falschen Auffassung von der Kirche Christi in der Vergangenheit wie in der Gegenwart. Wir müssen uns immer ihrer komplexen Wirklichkeit bewusst sein, die aus einem menschlichen und göttlichem Element zusammenwächst. Ein solches Kirchenbild, das christliche Welt- und Menschenbild, gibt uns in umfassender Weise Antwort auf die letzten großen Fragen, auf die ungelösten Rätsel des menschlichen Daseins, die heute wie eh und je die Herzen der Menschen am tiefsten bewegen: Was ist der Mensch? Woher kommt das Leid und welchen Sinn hat es? Was ist jenes letzte und unsagbare Geheimnis unserer Existenz, aus dem wir kommen und wohin wir gehen? (Nostra aetate, 1). Alle Religionen versuchen, auf menschliche Weise darauf eine Antwort zu geben durch ihr Suchen und Fragen. Der christliche Glaube allein ist imstande, darauf hinzuweisen, dass Gott selber in Christus Jesus, dem Mensch gewordenen Gottessohn eine sichere Antwort gegeben, einen sicheren Weg und eine bergende Gemeinschaft gebracht hat.

Zur Person

Franz König wurde am 3. August 1905 als Sohn einer Bauernfamilie in Niederösterreich geboren. Das Abitur legte er im Melker Stiftsgymnasium ab. Naturwissenschaften und Philosophie studierte er in Rom, Wien und Lille, Theologie an der Päpstlichen Universität in Rom. Dort wurde er am 28. Oktober 1933 zum Priester geweiht.

Anfang 1956 wurde Franz König von Pius XII. zum Erzbischof von Wien ernannt, 1958 erhob ihn Johannes XXIII. zum Kardinal. Die Erzdiözese Wien leitete Kardinal Franz König bis 1985. Besonderes Anliegen waren ihm die Kontakte zur Ostkirche und zu nicht glaubenden Menschen. 1964 gründete König die Stiftung "Pro Oriente", deren Aufgabe die Vertiefung der Kontakte zwischen der katholischen Kirche und den Ostkirchen ist. König war sich immer sicher, dass Europa ohne seinen Ostteil keine Zukunft hat.

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 3 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 16.01.2000

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