Verkündigungsengel aufgetaucht
Sensation in Erfurt
Erfurt / Stuttgart (ep) - Vor Weinachten machte in Erfurt unter Kunstfachleuten eine Nachricht die Runde: Der Kopf des nur als Torso erhaltenen Verkündigungsengels aus der Barfüßerkirche ist aufgetaucht, hieß es.
Anfang Dezember hatte die Frankfurter Allgemeine Zeitung eine Vorschau auf eine Versteigerung des Stuttgarter Kunstauktionshauses Dr. Fritz Nagel am 10. / 11. Dezember veröffentlicht. Darin wurde angekündigt: "Von der Erfurter Barfuesserkirche stürzte im Zweiten Weltkrieg ein Engel. Ein Fragment seines Kopfes wurde aus dem Schutt geborgen. Das Fundstück, datiert ins 14. Jahrhundert, ist mit 3500 Mark bewertet."
"Schon kurze Zeit danach bestand kein Zweifel daran, dass es sich um den verloren geglaubten Kopf des Verkündigungsengels vom Chorbogen der Barfüßerkirche handelt", sagt Karsten Horn vom Erfurter Angermuseum. In dem Museum wird der Torso des Engels aufbewahrt. Das aufgetauchte Fragment selbst trägt einen maschinenschriftlichen Vermerk, der es als den entsprechenden Kopf ausweist, wie der Prokurist des Stuttgarter Kunstauktionshauses, Rudolf Pressler, gegenüber dem Tag des Herrn bestätigt.
1977 hatte die evangelische Barfüßergemeinde das durch die Bombardierung im Zweiten Weltkrieg als Ruine überkommene Kirchengebäude an die Stadt Erfurt und damit in die Verantwortung des Angermuseums übergeben. Dabei gelangten auch die erhalten gebliebenen Kunstwerke, darunter die Reste der Verkündigungsgruppe, zu der der Engel zählt, als Dauerleihgabe in den Besitz des Museums.
Die evangelische Predigergemeinde, die seitdem die Rechtsnachfolgerin der Barfüßergemeinde ist, meldete sofort als Eigentümerin der Kunstwerke Eigentumsvorbehalt beim Stuttgarter Auktionshaus an, wie Pfarrer Johannes Stemmler bestätigt. Absicht war, die Versteigerung des Engelskopfes zu verhindern. Auf den erklärten Eigentumsvorbehalt wurde zwar bei der Auktion aufmerksam gemacht, versteigert wurde das Fragment dennoch - eine Vorgehensweise, die nach Aussage von Prokurist Pressler vom Kunstauktionshaus "nicht ungewöhnlich ist". So stamme zum Beispiel ein erheblicher Teil von Holzskulpturen, die versteigert würden, ebenfalls aus Kirchen. Im übrigen habe sich die Erfurter Predigergemeinde mit der Versteigerung "einverstanden erklärt", allerdings unter dem Vorbehalt, dass das Auktionshaus das Stück einbehält, bis die Eigentumsverhältnisse geklärt seien, so Pressler.
Wer das Auktionshaus mit der Versteigerung eines Objektes beauftrage, so der Prokurist, erkläre mit seiner rechtsgültigen Unterschrift, dass er der Eigentümer ist. Dies sei auch im Fall des Engelskopfes durch den Händler, der den Verkauf des Fragments in Auftrag gegeben habe, so geschehen, so Pressler. Insofern habe das Kunstauktionshaus keinen Anlass gesehen, den Engelkopf nicht zu versteigern.
Bei der Auktion am 11. Dezember hatte Karsten Horn vom Angermuseum in Absprache mit der Stadt Erfurt mitgeboten und das Fragment für 7500 Mark ersteigert, "um auf jeden Fall sicher zu stellen, dass der Engelskopf wieder nach Erfurt kommt". Das Geld wurde von der Stadt und Sponsoren bereitgestellt, bisher nach Angaben von Prokurist Pressler aber nicht bezahlt, da die Sachlage noch nicht geklärt sei.
Die Verkündigungsgruppe - Maria und der Erzengel Gabriel - ist im letzten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts von einem Erfurter Steinbildhauer für die Barfüßerkirche geschaffen worden. Bei der Gestaltung hat sich der Meister an der Verkündigungsszene des Lettners der Predigerkirche orientiert, die nur wenige Jahre früher entstand. Die Kirche befindet sich neben der Barfüßerkirche. Von daher ist auch anzunehmen, dass die Verkündigungsszene der Barfüßerkirche für den 1836 abgerissenen Lettner geschaffen wurde. Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die beiden Figuren auf Konsolen im Chorbogen der Barfüßerkirche aufgestellt, wo sie sich bis zur Zerstörung des Langhauses im November 1944 befanden.
Die stark beschädigten Torsi der Maria und des Verkündigungsengels wurden nach dem Krieg aus dem Schutt geborgen. "Bislang musste aber angenommen werden, dass die Köpfe der Figuren ebenso wie die Flügel des Engels und andere abgeschlagene Teile wie zum Beispiel die Gewandfalten beim Einsturz der Kirche untergegangen sind", so der Kustos der Mittelaltersammlung des Angermuseums, Karsten Horn. "Das Auftauchen des Engelskopfes auf der Stuttgarter Auktion gibt zu der Hoffnung Anlass, dass auch der Kopf der Maria einen ,Liebhaber' gefunden hat und wieder nach Erfurt finden könnte."
Die Erfurter Predigergemeinde hat noch vor Weihnachten dem Stuttgarter Auktionshaus die entsprechenden Urkunden zukommen lassen, woraus hervorgeht, dass die Gemeinde Rechtsnachfolgerin der Barfüßergemeinde und Eigentümerin der Kunstgegenstände der Barfüßerkirche ist. "Der wichtigste Aspekt ist zunächst einmal, dass die rechtliche Frage geklärt ist", so Pfarrer Stemmler. Und für Karsten Horn vom Angermuseum steht fest: "Der Engelskopf gehört nach Erfurt."
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 16.01.2000