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Bistum Erfurt

Was tut ein Bischof den ganzen Tag?

Adveniat-Vorsitzender Weihbischof Grave in der Bergschule St. Elisabeth

Heiligenstadt -Die Schulsituation in der Bergschule St. Elisabeth in Heiligenstadt war für Franz Grave nichts Ungewohntes: Vor der Klasse erinnerte sich der Weihbischof aus Essen an seine Qualifikation als Lehrer und an seine pädagogischen Fähigkeiten. "Ich wünsche mir, dass wir miteinander ins Gespräch kommen", sagte der Adveniat-Vorsitzende den rund 15 jungen Leuten, die eine Ausbildung zum Erzieher machen, und startete eine kleine Diskussionsrunde, indem er jeden einzeln ansprach. Zuvor, in der vorangegangenen Stunde, hatte er den Absolventen eines Teilzeitkurses für Sozialpädagogik noch nahe gelegt: "Fragen Sie mich einfach alles, was Sie wissen wollen." Allzu viele Fragen kamen da erst mal nicht, doch Weihbischof Grave zeigte dafür Verständnis: "Ich weiß, wie es ist, wenn man neben dem Beruf noch eine Weiterbildung macht. Man ist dann immer wie auf Zehenspitzen, stets unter vollem Leistungsdruck. Das ist so wie bei mir, wenn ich immer noch weiter Spanisch lernen soll." Als aufmerksame Zuhörer erwiesen sich die Schüler jedoch allemal. Und der Weihbischof bekam so Gelegenheit, von seiner Arbeit und insbesondere von den spezifischen Aufgaben in Lateinamerika zu erzählen, die er als Vorsitzender des Bischöflichen Hilfswerkes hat. Grave war im Vorfeld der Eröffnung der Adveniat-Aktion 2001 in Erfurt nach Heiligenstadt gereist. Die Einrichtung wirkte auf den Weihbischof sofort sympathisch. "Was tut denn eigentlich so ein Bischof den ganzen Tag?", war eine Frage, mit der er mehrfach konfrontiert wurde. Als Weihbischof im Ruhrgebiet, einer Region mit hoher Bevölkerungsdichte und zahlreichen Industrieansiedlungen, interessiere er sich besonders für die Arbeitsbedingungen der Menschen, gab Grave zur Antwort. Dabei spiele auch die leider derzeit ziemlich schlechte Lage auf dem Ausbildungsmarkt eine große Rolle. In Gesprächen mit Unternehmern und bei Betriebs- und Firmenbesichtigungen versuche er, dazu beizutragen, die Anzahl der angebotenen Ausbildungsplätze für Jugendliche zu erhöhen. Visitationen in kirchlichen Einrichtungen gehörten ebenfalls zu seinem Aufgabenbereich, so Grave weiter. Hinzu komme schließlich seine Funktion als Vorsitzender von Adveniat. "Diese Arbeit fasziniert mich ganz besonders", sagt Grave. "In Lateinamerika treffe ich Menschen, die zwar oft in Armut und Elend leben und manchmal auch verfolgt werden. Doch sie sind zugleich sympathisch und voller ansteckender Lebensfreude." Im August habe er persönlich ein ganz spezielles Erlebnis gehabt. Drei Tage verbrachte der Weihbischof bei einer Familie in einer Favela, einem Slumgebiet im honduranischen Tegucigalpa. "Ich habe die Lebens-, Schlaf- und hygienischen Bedingungen dort kennen gelernt. Und ich habe gemerkt, wie weit ich von meiner hohen Konsumleiter runterklettern muss, um auf eine Stufe mit diesen Menschen zu kommen. Alles, was bei uns selbstverständlich ist, zum Beispiel die Schule für Kinder und junge Leute, ist dort vielfach nur eine Vision", so Grave zu den Heiligenstädter Schülern. Auch hinter den glitzernden Fassaden mancher lateinamerikanischer Großstädte, wie etwa Mexiko City, verbergen sich immense Probleme. Angesichts dieser Not gelte es, Selbsthilfeinitiativen und Basisgruppen vor Ort zu fördern. Dabei helfe die katholische Kirche in Lateinamerika. "Wir stärken die Kirche und damit stärken wir die Menschen." Weltweite Solidarität sei in diesen Zeiten das Wichtigste überhaupt. Ansätze dazu seien durchaus in unserer Wohlstandsgesellschaft zu finden. Zusammen mit den angehenden Pädagogen erörterte Grave dann die Frage, ob man schon Kindergartenkinder mit dem Leid anderer Kinder in der Welt, wie etwa der Straßenkinder von Rio, vertraut machen könne. Die Bilanz fiel schließlich einhellig aus. Ja, so befanden die Schüler, auch die kleinen Kinder hierzulande müssten die Realität in der Welt kennen lernen. "Die sehen das alles doch auch in den Nachrichten. Deshalb ist es wichtig, darüber zu sprechen, sonst können die das doch gar nicht verarbeiten", so eine Schülerin, die sich noch genau daran erinnert, welche Ängste Katastrophenbilder im Fernsehen einst bei ihr selbst als Kind ausgelöst hatten. Einig waren sich die Schüler mit Weihbischof Grave allerdings auch darüber, dass solch ein Heranführen an die Wirklichkeit in armen Ländern behutsam und kindgerecht passieren müsse. Dazu könnten etwa Spiele beitragen oder auch das Malen von Bildern. Manchmal sei es auch wichtig für ein Kind ganz konkret zu erfahren, wie es ist zu teilen, zum Beispiel, sein Lieblingsspielzeug für ein anderes, armes Kind abzugeben. Natürlich sei eine Anleitung zum Teilen ein bisschen gegen den Strom, gegen das moderne Konsumverhalten, so Grave. "Doch sind wir deshalb unmodern? Das finde ich nicht". Es gelte, auch einmal dagegenzuhalten, um mehr Gerechtigkeit für die ganze Welt zu erreichen. Zum Abschied wünschte Grave den Schülern "alles Gute und Mut, gegen den Strom zu schwimmen."

Monika Hoegen

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 50 des 51. Jahrgangs (im Jahr 2001).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Freitag, 14.12.2001

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