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Aus der Region

Europa braucht Zeugnis der Christen

Akademien-Reihe

Leipzig (mh) - "Leben in Freiheit - nach der samtenen Revolution" - dieses Thema hatten die katholischen Akademien der ostdeutschen Bistümer über die Eröffnungsveranstaltung ihrer Reihe "Die zehn Gebote" geschrieben (siehe Tag des Herrn Ausgabe 2 und 3). Und wer hätte authentischer zu diesem Thema sprechen können, als der Referent, den die Veranstalter zu diesem Abend am 12. Januar in die Leipziger Propsteikirche eingeladen hatten? Der heutige Erzbischof von Prag, Kardinal Miloslav Vlk, hat in seinem Leben hautnah erfahren, was es heißt, in Unfreiheit oder in Freiheit leben zu können. Zehn Jahre lang hatten ihm die kommunistischen Behörden in der damaligen Tschechoslowakei die Ausübung des Priesteramtes verboten, den größten Teil dieser Zeit arbeitete er als Fensterputzer in Prag. "Man kann alles verlieren, aber darin Freude und Frieden finden", fasst er die Erfahrungen aus dieser Zeit zusammen. Und: "Die Jahre als Fensterputzer waren die wichtigste Vorbereitung auf das Bischofsamt."

Wie in anderen Ländern des ehemaligen Ostblocks würden die Menschen in seiner Heimat heute die Freiheit, die sie vor zehn Jahren errungen haben, nicht mehr schätzen. Entweder -wenn sie nur auf die materielle Seite sähen und es ihnen heute vermeintlich schlechter gehe als zu kommunistischen Zeiten -"sehnen sie sich wie die Juden in der Wüste zurück zu den Fleischtöpfen Ägyptens". Oder sie würden die Freiheit dermaßen überbetonen, dass sie völlig desinteressiert daran sind, wie es Menschen um sie herum gehe.

Eine solche "übertriebene Betonung der Freiheit des Einzelnen öffnet aber der Auflösung der Gesellschaft Tür und Tor", warnte der Kardinal. Und übertragen auf ethnische Gruppen fügte er hinzu: "Wenn ganze Völker ihre Freiheit falsch verstehen und sich in Form des Nationalismus in sich selbst verschließen, ist das das Ende Europas." Die "negative Spiritualität des Egosimus" müsse deshalb dringend durch eine "Kultur der Solidarität" ersetzt werden, forderte der Erzbischof. In vielen anderen Bereichen - etwa der Wirtschaft, der Wissenschaft oder der Kommunikation - sei inzwischen die Notwendigkeit des gemeinsamen Handelns erkannt worden.

Die zentrale Sehnsucht des Menschen von heute sei die Freiheit. Die Menschen aber verwechselten sie häufig mit der Durchsetzung des eigenen Willens, statt zu erkennen, dass Freiheit auch immer Verantwortung für andere bedeutet, sagte Vlk. Die Menschen im ehemaligen Ostblock hätten den Umgang mit Freiheit nie gelernt. Christen könnten hier einen wichtigen Beitrag für den Aufbau der Gesellschaft und Europas leisten, indem sie den rechten Gebrauch von Freiheit in Offenheit für andere Menschen vorleben. So könne das Christentum wichtig für die Gesellschaft werden.

Der postmoderne Mensch drehe sich um sich selbst als Zentrum, aber "er ist auf der Suche nach Transzendenz. Jeder Mensch hat den Wunsch, geliebt zu werden, selbst zu lieben und nützlich zu sein." Hier sieht Vlk Chancen für eine Neuevangelisierung. Den Menschen des Mittelalters, die nicht lesen und schreiben konnten, sei die christliche Botschaft durch die gemalten Armenbibeln vermittelt worden. "Auch heute sind viele Menschen religiöse Analphabeten. Die Bibel, die sie verstehen können, ist unser konkretes christliches Leben." Die Kirche habe Gott zu oft in den Tabernakel verbannt, kritisierte Vlk. Das verstehe der moderne Mensch nicht mehr. Aber es gebe so etwas wie einen "Tabernakel der Gesellschaft": "Wenn Menschen in Gemeinschaft mit Gott leben, erfährt auch der nicht gläubige Mensch etwas davon." Doch dazu "müssen wir weg vom Gott der Philosophen, hin zum Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, zum Gott, der gesagt hat: ,Ich bin da'!"

Kardinal Vlk nutzte die Veranstaltung auch, um sich bei der katholischen Kirche im Osten Deutschlands zu bedanken: "In kommunistischer Zeit war die DDR für uns ein wichtiges Zufluchtsland, und wir haben von hier viel Hilfe erfahren." Besonders erinnerte er an zahlreiche Treffen von Christen aus der damaligen Tschechoslowakei, die in der DDR unter dem Schutz der ostdeutschen Bischöfe stattfanden. Ein spezieller Dank galt auch dem Leipziger St. Benno-Verlag und unserer Zeitung. "Meine Bibliothek besteht zum größten Teil aus Benno-Büchern und der Tag des Herrn hat mir geholfen, die deutsche Sprache zu lernen."

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 4 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 23.01.2000

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