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Bistum Dresden-Meißen

Frauenhandel profitiert vom Wohlstandsgefälle

"Kirche im Aufbruch" warnt

Schmiedeberg - Wo das extreme Wohlstandsgefälle an den Ostgrenzen der Bundesrepublik satte Gewinne verspricht, da fallen alle moralischen Schranken. Extremstes Beispiel: der Frauenhandel. Schätzungsweise 7000 Frauen werden jährlich allein über Polen in den Westen verkauft, sagte die Warschauer Sozialarbeiterin Joanna Garnier auf der Tagung des Europäischen Netzwerkes "Kirche im Aufbruch" vom 6. bis 9. Januar im sächsischen Schmiedeberg. In der Bundesrepublik, in Holland oder in Belgien werden sie zur Prostitution oder zu schlecht bezahlter Zwangsarbeit gezwungen

Frau Garnier versucht, junge Polinnen durch Aufklärung und Information vor den Werbern und deren Versprechungen vom schnellen Geld im "goldenen" Westen zu warnen. Denn Gewinne machten nicht die Frauen, sondern die Zuhälter und Händler, erzählt Barbara Eritt. Und sie können sich sicher dabei fühlen: "Dem kleinsten Drogendealer drohen zehn Jahre Gefängnis, wenn er erwischt wird", sagt Eritt, "wird ein Frauenhändler auf Bewährung verurteilt, ist das schon viel." Aus ihrer Arbeit im Berliner Projekt INVIA, wo sie Opfer des Frauenhandels betreut, weiß sie, wie brutal aussagewillige Zeuginnen unter Druck gesetzt werden

Die jüngste Erfindung der Menschenhändler sei eine Art "Leasing-System", berichtet Uta Ludwig. Die Sozialarbeiterin hat davon bei der Betreuung von osteuropäischen Frauen im Projekt "Arachne" in Frankfurt/Oder erfahren. Zwei bis drei Monate dürfe der potentielle Käufer die Frauen im Grenzgebiet "testen". Bringen sie genügend Gewinn, zahlt er und nimmt sie nach Westeuropa mit. Joanna Garnier würde ihr Aufklärungs-Video gern auch in katholischen Gemeinden in Polen zeigen. Doch das darf sie nicht. "Die offizielle katholische Kirche in Polen lehnt uns ab mit der Bemerkung, wir beschäftigten uns mit ,gefallenen' Frauen." Unterstützung bekommt sie allerdings von einzelnen Katholiken

Auch Barbara Eritt hat ähnliche Erfahrungen gemacht, wenn sie Kontakt zur katholischen Kirche suchte. "Dabei hätte sie mit ihrem Netzwerk die besten Möglichkeiten zur Prävention." Dieser Ansicht sind auch die Vertreter der 20 kirchlichen Bewegungen aus elf europäischen Ländern, die sich 1991 zum Netzwerk "Kirche im Aufbruch" zusammengeschlossen haben. Daher appellieren sie in ihrer abschließenden Erklärung an die Kirchen, diese sollten ihre Seelsorge- und Hilfsangebote nutzen, "um die gesellschaftliche Wiedereingliederung von Prostituierten und Gesetzesübertretern zu fördern, anstatt sich an ihrer Diskriminierung zu beteiligen". Die Kirchen müssten zu "konsequenten und sensiblen Anwältinnen der in Not befindlichen Frauen werden, die oftmals illegal und unter unmenschlichen Bedingungen in Westeuropa leben". Nötig seien ein "radikaler Wandel der Mentalität und eine neue Kultur der Wahrnehmung innerhalb und außerhalb der Kirchen". Die Notschreie der entrechteten Frauen dürften nicht überhört werden. An die katholische Kirche in Polen appellieren sie, den zur Wiedereingliederung bereiten Frauen Hilfe anzubieten. Auch die Regierungen sehen die Reformgruppen in der Pflicht. Der kriminielle Menschenhandel solle zum Gegenstand der EU-Beitrittsverhandlungen gemacht werden, fordern sie von ihnen. Tomas Gärtner

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 4 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 23.01.2000

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