Leben im Jahreskreis - allerdings mit Vorlauf
Dresdener Domkapellmeister Matthias Liebich und die Kapellknaben
Dresden (jak) - Ostern, das Hauptfest der Christen, liegt hinter ihnen: Für die Dresdner Kapellknaben, den Kathedralchor, die Mitglieder der Dresdner Staatskapelle und Domkapellmeister Matthias Liebich war dieses Fest wie in jedem Jahr eine große Herausforderung. Und ohne sie wären Gottesdiens-te an Ostern oder Pfingsten in der Dresdner Hofkirche einfach nicht vorstellbar. Es sind die Atmosphäre des Raumes und die besondere Akustik, die allen Gottesdienstbesuchern - seien sie Hörende oder Gestaltende - gleichsam ein Stück anderer Welt offenbaren. Dies ist sicher ein wesentlicher Grund dafür, dass so viele Menschen in der Hofkirche eine Heimat finden. Matthias Liebich beschreibt dies so: "Wer mit dieser Kirche lebt, der ist irgendwie an sie gebunden und gern da."
Seit bald vier Jahren ist Matthias Liebich als Domkapellmeister für die Musik an der Hofkirche zuständig. Dazu gehören das Kapellknabeninstitut der Kathedrale genauso wie der Kathedralchor und die Gregorianikschola. Eine Aufgabe, die Matthias Liebich vielseitig erfüllt. Benötigt er dabei doch nicht nur fachliches Können, sonderen ebenso einen großen Teil an pädagogischen Kenntnissen und an seelischem Einfühlungsvermögen. Bereut jedenfalls, so sagt er heute, hat er seinen am 1. Mai 1997 erfolgten Wechsel hin zur Kirchenmusik noch nie.
Neben den vielfältigen Herausforderungen kommt immer wieder die religiöse Dimension dazu, die Liebich für sich und seine Chöre so wichtig findet: "Wir leben direkt und bewusst im Jahreskreis, von Advent zu Advent." Zwar gibt es stets einen Vorlauf von einigen Wochen - schließlich müssen die Proben für Ostern schon in der Fastenzeit beginnen - dies sei aber kein Nachteil, betont der Domkapellmeister. Weiter weist er darauf hin, dass die deutliche Aufteilung des Jahres auch für die Jungen eine wesentliche Hilfe ist.
Liebich selbst hatte dies von 1969 bis 1977 erfahren, als er zu den Kapellknaben gehörte. Nach einer Orgelbauerlehre und der Armeezeit begann er 1980 sein Musikstudium und arbeitete ab 1985 als Kapellmeister, zuerst in Bautzen, dann bei den Landesbühnen Sachsen in Radebeul bei Dresden. Für das dortige Ensemble schrieb er noch in seiner Zeit als Domkapellmeister zwei Musicals. Jetzt gehört seine ganze Kraft der Kirchenmusik, die er für die heutige Zeit erfahrbar machen will. Dazu gehört die Sorge um technische Voraussetzungen und Bedingungen genauso wie die Erbepflege und eigene Kompositionen. Damit reiht sich Matthias Liebich übrigens in eine lange Reihe seiner Vorgänger ein. Neben Johann Adolph Hasse, dessen Werke immer wieder aufgeführt werden, steht in diesem Jahr besonders Johann Gottlieb Naumann im Mittelpunkt. Er war von 1764 bis 1801 an der Hofkirche tätig. Aus Anlass seines 200. Todestages erinnert sich Dresden derzeit an diesen Musiker. Die Kapellknaben beteiligen sich an dieser Ehrung und werden seine a-Moll-Messe zur Aufführung bringen.
Matthias Liebich betont, dass das jeweilige Werk, mit dem er sich beschäftigt, sein Lieblingswerk ist. Herausragend sind dabei die großen Messen und Vespern. Und es stimmt ihn froh, wenn seine Freude an der Musik auch auf die Kapellknaben und die anderen Chöre übergreift. Wichtig ist ihm dabei, dass die ganze Sache nicht in einseitige Belastung abdriftet. Zwar lasse sich Stress nicht vermeiden, die Freude an der Musik und am gemeinsamen Leben sollte aber trotz aller Ernsthaftigkeit nicht verloren gehen, meint er.
In den vergangenen Monaten ist es Matthais Liebich und dem evangelischen Kreuzkantor Roderich Kreile zu danken, dass sich zwischen den Kapellknaben und dem Kreuzchor ein entspanntes Verhältnis entwickelte. "Wir haben einfach angefangen, uns gegenseitig bei unserer Arbeit zu besuchen", berichtet Liebich. Und so gab es schließlich einige gemeinsam gestaltete Gottesdienste in der Kreuz- und in der Hofkirche. In diesem Jahr werden beide Chöre beim großen ökumenischen Gottesdienst zum Hofkirchenjubiläum am 12. Juni erlebbar sein. Persönlich sieht Matthias Liebich im Kreuzchor keinerlei Konkurrenz. "Wir haben das gemeinsame Anliegen, Werte wie Religion und Musik immer wieder neu ins Bewusstsein der Menschen zu bringen", sagt der Domkapellmeister.
Das Dresdner Kapellknabeninstitut möchte er und die anderen Verantwortlichen am 28. April im Rahmen eines Tages der offenen Tür vorstellen. Eingeladen sind alle, die sich für den Chor und das inzwischen großzügig umgebaute Institut an der Wittenberger Straße interessieren, besonders aber Eltern mit sangesfreudigen Jungen, die einfach mal schauen wollen, ob das Leben bei den Kapellknaben etwas für ihren Sprößling ist.
Matthias Liebich weiß zwar um die innere Schwierigkeit, ein Kind ins Internat zu geben, aber gerade bei den Kapellknaben haben die Jungen die Möglichkeit, in einer großen Gemeinschaft aufzuwachsen und zugleich eine gute Bildung zu genießen. "Leider", so Matthias Liebich, "werden die Aspekte Freude am Singen und Gemeinschaft bei einer Entscheidung für oder gegen ein Leben bei den Kapellknaben oft als zweitrangig angesehen." Die Eltern sollten jedoch wissen, dass ihre Jungen im Haus gerade deshalb gut aufgehoben sind und eine Erziehung ganz in ihrem Sinne genießen. Zudem besteht die Möglichkeit, als Tagesschüler ins Internat zu kommen oder einfach nur als Externer an der musikalischen Ausbildung teilzunehmen. Schließlich gibt Matthias Liebich zu bedenken, dass Gottesdienste und Konzerte in Dresden und vielen anderen Orten nur dann weiter möglich sind, wenn Jungen und Eltern bereit sind, die Verantwortung dafür zu übernehmen.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Mittwoch, 18.04.2001