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Ich halte nichts von Heiligen

Konsolen in St. Sebastian (5)

"Menschen sind für mich keine Heiligen. Ich halte davon nichts", erwiderte vor einigen Wochen mein Gesprächspartner, als wir über "Gott und die Welt" plauderten. "Für mich ist nur ein Mensch heilig, und das ist Jesus!" Diese Sätze unseres Gespräches ließen mich nicht los. Ein Grund dafür ist sicherlich die Tatsache, dass mein Gegenüber sich nicht als Christ versteht. Ich fragte mich im Nachhinein, wie er wohl dazu kommt, sich Gedanken über dieses Thema zu machen und welche Vorstellungen von Heiligen wohl hinter seiner Aussage stecken oder welche Vorstellungen er von dem Wort "heilig" hat. Ich kann ihn gut verstehen, denn ich finde den Zugang zu Heiligen alles andere als einfach.

Aus meinem Religionsunterricht ist zum Thema "Heilige" das Bild der "frommen Überflieger" hängengeblieben und diese waren mir schon als Kind suspekt. Heute hilft mir der Gedanke, dass heilig soviel wie, "zu Gott gehörend", "Gott eigen", bedeutet. Demnach wären Heilige schlicht und ergreifend Menschen, die ihr Leben bewusst als Geschenk Gottes sehen und versuchen, es ihm und sich selbst entsprechend zu gestalten. Was hätte mein Gesprächspartner wohl gesagt, hätte ich ihm erzählt, dass mich zur Zeit die Darstellung eines Heiligen beschäftigt? Möglicherweise hätte der heilige Sebastian - der Soldat aus dem dritten Jahrhundert - ihn wegen seiner konsequenten Haltung doch angesprochen. Der heilige Sebastian gehört zu den bekanntesten Heiligen. Die Legende beschreibt ihn als einen fähigen und vom Kaiser geschätzten Offizier. Sebastian hatte es sich in der Zeit der Christenverfolgung unter Diokletian zur Aufgabe gemacht, verfolgten und gefangenen Christen Trost und Hilfe zu geben. Als der Kaiser von seinem christlichen Glauben erfuhr, wurde er trotz seines Ansehens, als Offizier der Leibgarde, zum Tod durch Erschießen verurteilt. Von den Pfeilen schwer verletzt wurde der Totgeglaubte wieder gesund gepflegt. Später trat er vor den Kaiser und beschuldigte ihn öffentlich des Mordes und der Christenverfolgung. Daraufhin ließ ihn Diokletian mit Knüppeln zu Tode prügeln. Als Todestag gilt der 20. Januar 288. Seine Darstellung in der Sebastianskirche ist für mich die eigenartigste, die ich bisher gesehen habe. Welchen Titel würden sie dem Bild geben? Mir kamen nach längerer Betrachtung folgende Ideen: "Wehrlos und doch gelassen", "Vor der Hinrichtung", "Angreifer aus dem Hinterhalt".

"Wehrlos und doch gelassen" - Diesem Sebastian, der fast nackt vor mir steht, fehlen beide Arme. Egal, ob sie sich gebunden hinter seinem Rücken befinden oder nicht. Er kann sich mit ihnen weder schützend bedecken, noch Angriffe abwehren. Auffällig scheint mir ebenso die ungewöhnliche Haltung der Beine. Versuchen sie mal sich so hinzustellen! Besonders sicher steht man nicht und davonlaufen ist so auch nicht möglich. Dieser Sebastian macht insgesamt auch gar nicht den Eindruck, als wolle er sich dem entziehen, was ihn erwartet. Seine großen schwarzen Augen sehen mich an und scheinen gleichzeitig noch weiter zu sehen. Sein Gesicht spricht weder von Angst noch von Verzweiflung. Er wirkt eher ruhig und gelassen.

"Vor der Hinrichtung" scheint die dargestellte Szene zu sein, denn ich erkenne keine Verletzungen und auch Pfeile sind nirgends zu entdecken. Eigentlich doch uninteressant. Es passiert nichts. Eine typische Situation "dazwischen". Sebastian kennt das Urteil und wartet auf die Vollstreckung. Ich weiß nicht, wie es Ihnen mit solchen Situationen geht. Ich halte dieses "dazwischen" nur sehr schwer und ungern aus. Die Ungewissheit darüber, was mich wirklich erwartet, macht mich fertig.

"Angreifer aus dem Hinterhalt" - Wer ist der Bogenschütze überhaupt? Er sieht nicht gerade aus wie ein römischer Soldat, dieser Mann in seinem roten Gewand, dem es nichts auszumachen scheint, einen wehrlosen Menschen von hinten anzuschießen. Wer oder was schießt Sie, ihren Glauben und ihre Lebensfreude an? So ruhig wie Sebastian bin ich unter "Beschuss" von außen und von innen nicht. Vielleicht hat seine Gelassenheit ihren Ursprung in der Gewissheit dessen, was das Wort heilig meint: Ich gehöre Gott. Ulrike Kriesel

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 4 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 23.01.2000

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