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Bistum Dresden-Meißen

Gejammert und geklagt

Katholische Kirche in Krise

Dresden (tg) - Für Manfred Lütz steht fest: Das Bild von der katholischen Kirche in der bundesdeutschen ÷ffentlichkeit ist ein Negativklischee. Und "lustfeindlich, frauenfeindlich, hiera-rchisch, unterdrückend" lauten die Attribute. Für den Kölner Psychotherapeuten stellt die Kirche so etwas dar wie den Prügelknaben der Nation. Weil in einer Gesellschaft, in der die Autorität des Vaters in die Krise geraten sei, die Protest-Objekte fehlten, müsse der Papst als Ersatz dafür herhalten, sagte er bei einem Vortrag in der Katholischen Akademie in Dresden

Ein Beispiel, das Lütz nennt: Ganze vier Prozent der Ÿußerungen des Papstes hätten das Thema Sexualität zum Inhalt. Dagegen sei in den Medien in mehr als der Hälfte der Nachrichten über den Heiligen Vater von Sexualität die Rede. Für Lütz ist klar: "Hier geht es nicht um Neuigkeiten, sondern um die Bedienung eines ,gesellschaftlichen Ritus'."

Innerkirchlich ist die Lage nach seiner Ansicht kaum besser: Da stünden sich Konservative auf der einen und Progressive auf der anderen Seite ohne Bereitschaft zu einem wirklichen Dialog gegenüber. Eine Seite schiebe der anderen die Schuld an den Problemen zu. Gemeinsam sei ihnen jedoch eines: "Auf beiden Seiten wird nur noch gejammert und geklagt."

Dabei wäre es nach Ansicht des Psychotherapeuten weit produktiver, wenn sich die katholischen Christen statt des Lamentos stärker auf ihre ureigenen Möglichkeiten zur Lösung in-nerkirchlicher Probleme besinnen würden. Es müsse mehr von den Ressourcen geredet werden, um aus dem "Problem-Trance" heraus zu kommen, meinte er. "Die katholische Kirche muss stärker auf ihre Kräfte achten, die bewirkt haben, dass diese riesige Organisation in 2000 Jahren nicht untergegangen ist."

Hier könne man von der modernen Psychotherapie lernen. Sie habe die früher in der Psychoanalyse übliche einseitige Fixierung auf Defizite längst überwunden. Jetzt werde nach den Kräften des Patienten zur Überwindung seiner Probleme gefragt, um diese Kräfte gezielt zu stärken

Die katholische Kirche habe in ihrer Geschichte einen "Fundus von Lösungen" vorzuweisen, der auch für die heutige Gesellschaft von Nutzen sein könnte. Dass beispielsweise Orden mit völlig gegensätzlichen Anschauungen nebeneinander existierten, ohne dass einer vom anderen behaupten dürfe, er lebe eine bessere Form von Christentum, sei "die katholische Lösung schlechthin". Krisen seien gelöst worden, indem die "Verschiedenheit als Bereicherung aufgefasst wurde". Lütz: "Das Prinzip der Einheit in Vielfalt wäre auch ein Modell für die multikulturelle Gesellschaft."

Weiteres Beispiel: Durch den Zölibat habe die katholische Kirche rund 1500 Jahre Erfahrung mit dem Single-Dasein. "Warum also nicht mal offensiv das Positive des Zölibats darstellen?" Christen sollten in der Gesellschaft "offen und fröhlich, nicht nur problemtriefend" von ihrem Glauben reden. Die Gemeinden müssten katechetisch und missionarisch sein. Eine Streit-Kultur sei nötig. "Wir sollten offen auch auf diejenigen zugehen, die nicht zum Dialog bereit sind." Das gelte auch für den Gegensatz zwischen Konservativen und Progressiven. Die Meinung, Progressive müssten Konservative werden und umgekehrt, sei nicht die Lösung, sondern das Problem. "Eine Kirche mit monolithischer Auffassung hat es nie gegeben." Unterschiedliche Auffassungen würden Unruhe schaffen. "Aber eine ruhende Kirche wäre eine tote Kirche."

Buchtipp: Manfred Lütz: Der blockierte Riese. Psycho-Analyse der katholischen Kirche; Pattloch-Verlag; Augsburg 1999; ISBN 3-629-00673-6; Preis: 29,90 Mark

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 5 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 30.01.2000

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