Hoffnung für Ostkirchen?
Gott nach dem Kommunismus
Berlin (mh) - Die Lage der katholischen Kirchen in den ehemals kommunistischen Ländern Mittel- und Osteuropas ist ernst, doch es gibt begründeten Anlass zur Hoffnung. So etwa lassen sich Ergebnisse einer Studie unter dem Titel "Gott nach dem Kommunismus" zusammenfassen, deren zweiten und dritten Band am vergangenen Sonntag die Theologen Paul Zulehner (Wien) und Miklos Tomka (Budapest) in der Katholischen Akademie Berlin vorstellten. Zwar gebe es neben nach wie vor religiösen Kulturen (Polen, Kroatien, Litauen) "zum ersten Mal in der Geschichte im Herzen Europas zwei atheistische Kulturen" (Ostdeutschland und Tschechien), aber es zeigten sich auch deutliche Anzeichen eines religiösen Aufschwungs in den untersuchten Ländern. Dieser habe nicht erst mit der Wende eingesetzt, sondern bereits Mitte der 70er Jahre. Dieser Aufbruch gehe allerdings weniger in Richtung der Formen klassischer Religiosität, "sondern zu Glaubensformen, die nicht unbedingt gleich in das christliche Credo hinein passen", sagte Tomka. Dennoch müsse die neue religiöse Suche von den Kirchen "mit neuer pastoraler Qualität bewirtschaftet werden", forderte Zulehner.
Eine wichtige Aufgabe könnten die Kirchen für die jeweiligen Gesellschaften spielen, so ein weiteres Ergebnis der Studie. In einer zunehmend von Verlierern geprägten Gesellschaft seien sie nämlich am ehesten in der Lage, beim Aufbau einer solidarischen Gesellschaft zu helfen, indem sie sich auf die Seite der Armen stellen. Die Kirchen könnten das auch, denn: "Menschen, die in religiöse Netzwerke eingebunden sind, sind eher bereit, auch schmerzhaft zu verzichten", wenn es um den Ausgleich zwischen Arm und Reich gehe. Schließlich müssten die Kirchen sich selber wieder zu einem Teil der Kultur machen, indem sie zeigen, dass - entgegen den "Lügen, die die kommunistische Ideologie verbreitet hat" - Christ-Sein eine mögliche Lebensform darstelle.
Eine große Schwierigkeit bei all dem sieht Zulehner im Mangel an christlicher Intelligenz. Damit die Kirchen ihren Einfluss in der pluralen Gesellschaft gelten machen könnten, müsse die Förderung von Christen in entsprechenden Positionen in Wissenschaft, Bildung, Medien oder Politik hohe Priorität haben. Dass heute entsprechende Fachleute fehlten sei wahrscheinlich eine Folge kommunistischer Kirchenpolitik, die Christen im Bildungsbereich benachteiligt habe. Zum Beispiel führe das auch dazu, dass sich in den oberen Einkommensbereichen weniger Christen als Nichtschristen finden. Zulehner sprach in diesem Zusammenhang von einem "ökonomischen oder sozialen Martyrium".
Die religiöse Entwicklung in den ehemaligen Ostblock-Ländern dürfe aber nicht allein vom Kommunismus abhängig gemacht werden, betonten Zulehner und Tomka. Einfluss darauf hätten nicht nur die jeweilige Geschichte vor 1945, sondern vor allem auch der Grad der gesellschaftlichen Modernisierung in den kommunistischen Jahren. In Ländern, in denen Wirtschaft, Kultur und Bildungswesen besonders weit entwickelt gewesen seien, wie etwa im der ehemaligen DDR, gebe es heute auch den größten Verlust an Religiosität.
Hinweis: Die Studie (Preis je Band: 48 Mark) erscheint im Schwabenverlag Ostfildern. ° Miklos Tomka, Paul Zulehner: Religion in den Reformländern Ost(Mittel)Europas, ISBN 3-7966-0939-2
° Miklos Tomka, Paul Zulehner: Religion im gesellschaftlichen Kontext Ost(Mittel)- Europas, ISBN 3-7966-0974-0
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 06.02.2000