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Fröhlich aufgespielt

Konsolen in St. Sebastian

Der Fiedler im hohen EckDa schaue ich auf die dicken und klobigen Finger und Hände. Kann denn ein Spieler mit solchen Fingern und Händen einem Instrument überhaupt Töne oder gar Melodien entlocken? Aber er spielt und spielt da oben im Eck (im Seitenschiff der Kathedrale) seit Jahrhunderten bei Tag und bei Nacht. Warum mag er musizieren? Treffen selbst ungelenke Finger einen Ton? Vielleicht will er mir sagen: Du musst nicht auf die Finger achten, höre die Musik! Und ich entdecke seinen Lebens-Sinn: "Ich musiziere, ich lebe; ich lebe, ich musiziere".

Natürlich ist längst nicht alles im Leben wie Musik, werden wir sagen. Manchmal vergehen uns die Lieder und die Stimme findet den Ton nicht: tro-cken die Kehle, die Saiten gerissen, die Ohren verstopft. Er aber spielt da oben im Eck, egal ob die da unten ihn nun sehen und hören; und ob die da unten nun andere Lieder singen, ob falsch oder gegen den Strich seines Bogens; ob alte Lieder, ob neue Lieder; ob klagende Weisen vom Schmerz verzerrt oder die jauchzenden Melodien der Freiheit ..



Unser Fiedler ist in ein grünes Gewand gekleidet. Soll die Farbe seine Melodie wie einen Akkord zum Klingen bringen? Wer ohnmächtig wird, verliert die Farbe, der Tod macht blass und bleich. Grün aber ist die Farbe des Heiligen Geistes, er ist der Spender des Lebens - darum werden die Sonntage nach Pfingsten in Grün gefeiert. Am dritten Schöpfungstag wird nach biblischer Erzählung die Erde lebendig grün. Die alten Maler haben das Paradies grün gemalt. Unser Fiedler im Eck: Er spielt das Lied der Hoffnung. In unserem Ohr bleibt die Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies und den verlockenden Rhythmen des Lebens mit Gott. Grün, blau und rot - diese Farben sind zu erkennen - sind die Farbspiele des dreifaltigen Gottes. Um ihn zu begreifen, reichen die Worte nicht aus. In Farben und Tönen nähern wir uns dem Geheimnis.

Der Fiedler spielt auf in einer Kirche. Das erinnert uns an die Bibelstelle: "Ich habe euch aufgespielt, und ihr habt nicht getanzt." (Lk 7, 32) Wenn die frohe Botschaft uns erreicht, darf daraus Musik und Tanz werden - wenn selbst unsere Finger noch so steif sind und die Füße eher am Boden kleben wollen. Darum hört man schon von weitem Musik und Tanz aus dem Raum, in dem der Vater mit seinem wieder gefundenen Sohn das Leben feiert (Lk 15, 15). Darum erdröhnt der ganze Himmel in volltönenden Chören. Engel und Menschen können nicht an sich halten: Gott bereitet das Fest der Erlösten. Die Sinfonie der Hoffnung erklingt: "Ehre sei Gott in der Höhe" (Lk 2, 13) - und Shalom allen Menschen.

Und darum können wir uns auch keinen Gottesdienst denken ohne Musik und Tanz. Wir vereinen uns ja mit den Liedern der Kerubim und Serafim und den freien Rhythmen des Himmels. Die Tore der Himmel sind weit geöffnet; der Jubel der Erlösten trifft unsere Erde. Und wir dürfen einstimmen in das Lob seiner Herrlichkeit. Der heilige Augus-tinus soll zu seiner Zeit gemeint haben: "Mensch, lerne singen und tanzen, sonst weiß der Himmel nichts mit dir anzufangen".

Unser Blick fällt erst beim Herausgehen aus der Kirche auf den "Fiedler im Eck". Will er uns seine Melodie mit auf den Weg geben? Wem die Melodien des Gottesdienstes im Herzen und in den Ohren nachklingen, für den ist der Gottesdienst nicht an der Kirchentür zu Ende. Es bleiben ja die Stimmen der Sehnsucht und der Hoffnung. Und es bleibt die Neugier auf jene Stunde, wenn im Einklang der Herzen und Saiten das "neue Lied" erklingt.

Die Mönche von Cluny haben im zwölften Jahrhundert auf acht Kapitellen in ihrer Kirche die acht Kirchentöne dargestellt. Der dritte Kirchenton singe und spiele von der Auferstehung, haben sie gemeint. Davon kennt auch unser "Fiedler im Eck" die Töne und findet sie auf seinen Saiten. Seine Musik ist nicht laut und dröhnend in unseren Ohren; eher zart und sanft. Sie tut uns gut und heilt unsere Wunden - weil "sein Reich kommt" im Akkord der Sinfonien und Farben.

Theodor Steinhoff

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 6 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 06.02.2000

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