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Bistum Dresden-Meißen

Vergötzung des Marktes

Neue Religion

Leipzig - Der Untergang des Sozialismus habe offenbar nicht nur die letzte Utopie auf dieser Welt dahin gerafft, sondern zugleich einer neuen Religion zum Triumph verholfen: "Jetzt zählt nur noch der Markt. Die Vermarktung der Dinge." Karl Nothof aus Speyer sprach zum letzten diesjährigen Winterseminar des Dekanates Leipzig und der Katholischen Akademie Dresden eine deutliche Sprache. Eine bewusst provozierende. Der ehemalige Bundesvorsitzende der Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB) beschrieb in der Leipziger Propsteikirche St. Trinitatis vor zahlreichen Zuhörern das, was er unter der "Vergötzung des Marktes" versteht. Und er rief eindrücklich das in Vergessenheit zu geratende erste der zehn Gebote in Erinnerung: "Du sollst keine anderen Götter neben mir haben."

Denn im Gebahren des Marktes, dem sich die Menschen demütig unterwürfen, erkenne Nothof zunehmend eine Art Ersatzreligion. "Die Werbung ist das Evangelium des Marktes", so Nothof. Sie verkünde in Form von Dauerberieselung die frohe Botschaft des Glücks, egal ob für Waschmittel oder Bier. Auffällig in der Diskussion über die Vorgänge des Marktes sei die Verwendung religiöser Begriffe wie etwa soziale Gerechtigkeit". "Der Markt wird heilig gesprochen", konstatierte Nothof. Gleichzeitig blieben Moral und Menschen auf der Strecke. Von Gott ganz zu schweigen. Um Arbeit wird wie um Ware gefeilscht und wer nicht mithalten kann, der ist draußen. "Diese reale Situation steht deutlich im Widerspruch zur katholischen Soziallehre. Danach dienen wirtschaftliche Prozesse der Ernährung und dem Leben der Menschen", erläuterte Karl Nothof.

Er halte es für falsch, den Markt generell zu verteufeln, da er für die Selbstversorgung des Menschen von großer Bedeutung ist. Aber auf das Wie komme es an. "Der Markt muss für die Menschen da sein, nicht umgekehrt".

Die Auseinandersetzung da-rüber, ob in Zukunft der Mensch im Mittelpunkt stehe oder ob der Markt als Maß aller Dinge gilt, ist in vollem Gange. Nothof illustrierte diesen Konflikt unter anderem mit der Diskussion um verkaufsoffene Sonntage. Zugleich plädierte er klar gegen die Ausweitung der Ladenöffungszeiten, weil dies zu Lasten anderer, nämlich der Arbeitenden, gehe. Mit dem Wegfall des Sonntags als Tag der Ruhe würde zudem die Lebensqualität stark eingeschränkt, so Nothof.

Von der Kirche verlangte er, dass sie sich im Konflikt Markt-Mensch klar positioniere. Als Volk Gottes hätten die Christen die Pflicht, nach Gerechtigkeit zu suchen und für Befreiung von Ungerechtigkeit zu sorgen. Gerechtigkeit heiße unter anderem, dass bei der Verteilung der Güter der Erde niemand ausgeschlossen sein dürfe. Gewinne und Profite stünden dieser Forderung aber nicht entgegen. Es sei nur die Frage, wie sie angestrebt und erreicht werden. "Wenn ein Konzern heute bekannt gibt, dass er hundert Leute entlässt, steigen sofort die Aktienkurse. Früher war das genau umgedreht. Da stimmt doch etwas nicht", gab Nothof zu Bedenken.

Eine zentrale Frage der anschließenden Diskussion, die inhaltlich kaum über die verkaufsoffenen Sonntage hinaus kam, zielte darauf ab, wie sich denn der Einzelne den Mechanismen von Markt und Konsum überhaupt entziehen, geschweige denn auf sie einwirken könne.

Die vergleichsweise simplen Antworten auf diese existentielle Frage lieferten Publikum und Referent mit vereinten Kräften: Mehr beten oder selbst mit guten Beispiel voran gehen und ganz bewusst sonntags nicht einkaufen gehen. Und die Jugend zu einer Sonntagskultur ohne Einkauf erziehen. Etliche Zuhörer, die sich wohl von der anschließenden Diskussion mehr versprochen hatten, verließen vorzeitig sie Kirche.

Markus Tichy

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 8 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 20.02.2000

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