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Auf zwei Minuten

Der Mensch und sein Schatten

Pater Damian

Pater Damian Meyer"Es war einmal ein Mann, der sich sehr über den Anblick seines eigenen Schattens ärgerte. Er war so unglücklich über seine eigenen Schritte, dass er beschloss, sie hinter sich zu lassen. Er sagte sich: Ich laufe ihnen einfach davon. So stand er auf und lief davon. Aber jedesmal, wenn er seinen Fuß aufsetzte, hatte er wieder einen Schritt getan, und sein Schatten folgte ihm mühelos.

Er sagte zu sich: Ich muss schneller laufen. Also lief er schneller und schneller, lief so lange, bis er tot zu Boden sank. Wäre er einfach in den Schatten eines Baumes getreten, so wäre er seinen eigenen Schatten losgeworden, und hätte er sich hingesetzt, so hätte es keine Schritte mehr gegeben. Aber darauf kam er nicht. Diese alte Geschichte des chinesischen Philosophen Tschuang-tse scheint mir ein Gleichnis für unser Leben zu sein. Uns allen folgt auf Schritt und Tritt der Schatten unserer Vergangenheit: Unterlassungen und Fehlentscheidungen - "hätte ich doch damals das und das getan!" - Schuld, die wir auf uns geladen haben, weil wir anderen Unrecht getan, sie verletzt haben. Jeder hat mehr oder weniger belastendes Gepäck mitzuschleppen. Und wir versuchen, irgendwie damit fertig zu werden. Manche machen es wie der Mann in unserer Geschichte: Sie versuchen, vor sich selbst zu fliehen. Auf verschiedene Weisen: Durch Flucht in die Arbeit, oder sie stürzen sich in oberflächliche Vergnügen und Zerstreuungen, oder sie versuchen, ihre Belastungen durch Alkohol oder andere Drogen loszuwerden. Aber das sind Sackgassen statt Auswege. Was soll man tun? Sich hinsetzen und nichts tun! Sich mit seiner ganzen Vergangenheit annehmen lassen. Von wem? Von Gott, der "größer ist als unser Herz und der alles weiß "(vgl. 1 Joh 3,20). Durch Jesus lädt er uns ein: "Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen" (Mt 11,28).

Pater Damian Meyer

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 9 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 27.02.2000

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